VON STATUEN, DENKMÄLERN UND ALTEN SCHLÖSSERN – Was Zwingli, Trachselwald und Black Lives Matter miteinander zu tun haben

Innenhof von Schloss Trachselwald (Foto:HPJ)

Schloss Trachselwald ist für die Geschichte der Täufer in der Schweiz ein Symbol für deren Repression durch einheimische politische und kirchliche Obrigkeiten. Es ist aber auch ein Symbol für die Bereitschaft und den Mut, für eigene Werte und Überzeugungen auch dann einzustehen, wenn es notfalls einen hohen Preis zu bezahlen gilt.

In den letzten Tagen konnte die Konferenz der Mennoniten der Schweiz darüber berichten, wie dank eines Vertrages mit dem Kanton Bern auf Schloss Trachselwald demnächst eine Ausstellung eingerichtet werden soll, um die Geschichte der Täufer darzustellen und über deren aktuelle Bezüge für die Gegenwart nachzudenken.

Schlösser wie dasjenige in Trachselwald im Emmental waren – nicht nur für die Täuferinnen und Täufer, sondern für sämtliche Untertanen bzw. für die gesamte sogenannt «einfache Bevölkerung» – jahrhundertelang Symbol für die Unterdrückung durch die Mächtigen. Kein Wunder, dass nur wenige solche Schlösser einigermassen unbeschadet bis heute überlebt haben: Früher oder später hat der «Volkszorn» viele von ihnen zerstört, und nur wenige haben die Zeit der Französischen Revolution überlebt und nur wenige können demzufolge heute noch als Denk- oder Mahnmal besucht werden.

Über Denk-Mäler wurde in den letzten Tagen intensiv debattiert. Im Zusammenhang mit der «Black-Lives-Matter»-Bewegung sind in den USA zahlreiche Statuen von historischen Persönlichkeiten, deren Bezüge zu Sklavenhaltung und Rassismus neu in den Fokus breiterer Bevölkerungskreise gerückt sind, umgestürzt und zerstört oder von den Behörden abmontiert worden. Selbst «Helden» mit schweizerischer Vergangenheit, wie ein «General Sutter» aus Rünenberg im Baselbiet, sind (zurecht!) erneut ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Eine Statue im kalifornischen Sacramento, 1987 noch von der Baselbieter Regierung mitfinanziert, ist Mitte Juni entfernt worden.

 

Zwingli-Denkmal bei der Zürcher Wasserkirche         (Foto: Roland zh / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Interessanterweise ist just diese Woche – inmitten der globalen Denkmaldebatten – das gerade auch von täufergeschichtlichen Exkursionsgruppen oft besuchte Zwinglidenkmal vor der Zürcher Wasserkirche nach einjähriger restaurationsbedingter Absenz wieder installiert worden. Die aus friedenskirchlich-täuferischer Perspektive kritisierte Synthese von Bibel und Schwert, wie sie weit über Zwingli hinaus in der offiziellen Christenheit weltweit jahrhundertelang das Sagen hatte, ist bei vielen Betrachtern dieser Zwinglistatue wohl der stärkste und nachhaltigste Eindruck. In der einen Hand die Bibel, in der andern das Schwert, so steht der Zürcher Reformator aus einer Bildhauer-Werkstatt des späten 19. Jahrhunderts monumental und pathetisch da und blickt über seine Betrachter hinweg über den Zürichsee hinaus – dorthin wo ganz nebenbei ja nicht nur seine zeitgenössischen katholischen Gegner hausen, sondern noch etwas näher auch einige seiner täuferischen Kritiker im Zürcher Hinterland…

In einem anregenden Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung aus Anlass dieser Rückführung der Zwingli-Statue am 16. Juni an ihren angestammten Standort lässt der Journalist Urs Bühler den Zürcher Reformator in einem fingierten Selbstgespräch monieren: «Vielleicht finden die Moralhüter ja eines Tages ein historisches Motiv, auch mich niederzureissen, etwa weil sie den Reformator als Kriegsgurgel verschreien oder als verkappten Frauenhelden.»

Aus täufergeschichtlicher Optik sei dem hinzugefügt: Fehlt nur noch, dass Zwingli wegen seiner political incorrectness in Form der Repression einer religiösen Minderheit – der Täufer nämlich – vom Sockel geholt wird. Oder dass er, weniger gewalttätig zwar, aber doch gleicherweise medienwirksam, regelmässig mit Farbe bekleckert wird, die einige Nachtbuben ihm in der Gestalt einer Friedenstaube auf seinen Theologenrock aufgesprayt hatten – und wo manche Experten frappante Ähnlichkeiten dieser Peace-Graffiti mit dem mennonitischen MCC-Hilfswerk-Logo feststellen zu können glauben…

Nun, die Zwingli-Statue steht also wieder am alten bekannten Ort. Noch steht sie nicht im Zentrum neuzeitlicher Bilderstürmer und denkmalstürzlerischer Ikonoklastinnen: Die schweizerische Öffentlichkeit holt bekanntlich derzeit andere reformierte Grössen von den Sockeln…. Die neue alte Zwingli-Statue bietet damit weiterhin Hundertschaften von (nicht nur) täufergeschichtlichen Tour-Guides willkommenen Anlass, um über «Bibel und Schwert» nachzudenken. Und um dabei Freundliches und Weniger-Freundliches über Zwingli und über grosskirchliche Theologie und Glaubenspraxis zu sagen. Und manche dieser Tour-Guides fügen dann natürlich auch noch viel Gutes (und ja, bisweilen auch einiges weniger Gutes) über die täuferische pazifistische Alternative an…;-)

Einer, der im Rahmen unzähliger Anabaptist History Heritage Tours auch die Schweiz regelmässig Male bereist hat und mit seinen täuferhistorischen Touristengruppen oft auch vor dem Zwingli-Denkmal über «Bibel und Schwert» nachgedacht hat, ist der mittlerweile 90jährige John L. Ruth aus Pennsylvania. Eindrücklich bleibt seine 2011 gehaltene Rede im unweit des Zwinglidenkmals liegenden Rathaus. Sein Vortrag vor der Zürcher Kirchensynode illustriert in bewegenden Worten, wie eine schwierige Vergangenheit durchaus auch für Versöhnung in Gegenwart und Zukunft fruchtbar gemacht werden kann (Abdruck in Mennonitica Helvetica 34/35 (2011/2012), 257-258).

John L. Ruth bei seiner Ansprache im Zürcher Rathaus, unweit des Zwingli-Denkmals
(Foto Peter Schmid, https://www.livenet.ch/sites/default/files/media/cache/images/title/192348-John-L-Ruth.jpg)

John L. Ruths soeben im Rahmen des 50jährigen Jubiläums der nordamerikanischen Reiseorganisation TourMagination auf YOUTUBE publizierter Film «Is There a Lesson? A Heritage Documentary» ist ein faszinierender Einblick in sein eigenes lebenslanges Engagement, um (Täufer-)Geschichte für die Gegenwart fruchtbar zu machen – und in diesem Sinne auch ein bedenkenswerter Beitrag zur aktuellen Denkmal-Debatte! Denn auch in Sachen Denkmäler und Erinnerungskultur gilt es wohl noch einige Lektionen zu lernen…

 

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Es bewegt sich etwas bei Schloss Trachselwald

Die Schweizer Mennoniten schliessen einen Vertrag mit dem Kanton Bern ab. 

Über mehrere Jahre hinweg war eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Mennoniten der Schweiz (KMS) in Gespräche involviert, wo über die Zukunft von Schloss Trachselwald beraten wurde. Ihre zentralen Anliegen waren dabei: Die Zugänge zum Bergfried sollte langfristig gewährleistet werden; eine Dauerausstellung zu Leben und Glauben, Geschichte und Gegenwart des Täufertums sollte installiert werden; und die Schautafeln zur Täufergeschichte sollten ins Französische und Englische übersetzt werden.

Nun konnte ein Vertrag mit dem Kanton Bern unterzeichnet werden, welcher die Einrichtung der Ausstellung möglich macht. Der Bericht der Arbeitsgruppe findet sich hier. (Deutsch / Français / English)

 

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Zum 300. Todestag von Bendicht Brechtbühl (1666–1720) am 26. April 2020

Notiz auf Innendeckel des Neuen Testamentes von Hans Herr (Mennonite Historical Society, Lancaster)

Zum 300. Todestag von Bendicht Brechtbühl (1666–1720)

Am kommenden Sonntag finden meines Wissens keinerlei Gedenkveranstaltungen statt: Und doch ist der 26. April 2020 der 300. Todestag einer der Schlüsselgestalten des schweizerischen Täufertums: Bendicht Brechtbühl (1666–1720).

Einziger Hinweis auf den Todestag Brechtbühls («BBB») ist der oben abgebildete Eintrag im alten Froschauer-Testament von Hans Herr, einem anderen Pionier der Einwanderung schweizerisch-süddeutscher Täuferinnen und Täufer nach Pennsylvania:

«Anno 1720, den 26. April ist der gute Fründ BBB in dem Herren entschlaffen.»

Die Zeit um 1700 bildete in Bern bekanntlich den Höhepunkt der Verfolgung des einheimischen Täufertums. Herausragende Eckpfeiler dieser Repression waren dabei die missglückte Täufer-Deportation im März 1710 sowie der Grosse Täuferexodus im Juli 1711. Bei beiden Ereignissen spielte der Täuferlehrer Bendicht Brechtbühl eine Schlüsselrolle. Rasch wurde er zu einer der wichtigsten Kontaktpersonen für die niederländischen Taufgesinnten und deren umfangreiches Hilfswerk zugunsten ihrer schweizerischen Glaubensverwandten.

Sein Lebensweg führte ihn aus dem ländlichen Emmental via zahlreiche Gefängnisaufenthalte und mehrere Ausweisungen zuerst in die Niederlande und später ins Asyl im Kraichgau. Er veröffentlichte Liedtexte, übersetzte theologische Erbauungsliteratur und leitete eine Erkundigungstour durch Ostpreussen, bevor er kurz vor seinem Lebensende nach Pennsylvania auswanderte und sich bei Strasburg im Lancaster County niederliess.

Seine Bereitschaft zum Dialog, seine Offenheit für Neues und sein Ringen um eine gute Mischung von Kontinuität und Wandel liessen ihn bereits zu Lebzeiten zu einem hochgeachteten Vermittler und Brückenbauer über alle Grenzen und Gräben hinweg werden, und sein Beispiel vermag bis heute zu beeindrucken.

Nachzulesen ist seine spannende und erstaunliche Biographie «Bendicht Brechtbühl (1666–1720) – Täuferlehrer, Brückenbauer und Grenzüberschreiter aus dem Emmental» in Mennonitica Helvetica 36 (2013), 105–158.

Und in englischer Version in Mennonite Quarterly Review, LXXXIX (July 2015): “Bendicht Brechtbühl (1666-1720) of the Emmental: Anabaptist Teacher, Bridge Builder, and Border Crosser”.

 

ENGLISH TRANSLATION:

300th anniversary of the death of Bendicht Brechtbühl (1666-1720)

As far as I know, there will be no commemoration ceremonies next Sunday: And yet, April 26, 2020 is the 300th anniversary of the death of one of the key figures in Swiss Anabaptism: Bendicht Brechtbühl (1666-1720).
The only reference to Brechtbühl’s death date („BBB“) is an entry (pictured above) in the an old Froschauer Bible by Hans Herr, another pioneer of the immigration of Swiss Southern German Anabaptists to Pennsylvania:

„Anno 1720, April 26th, the good friend BBB passed away in the Lord.“

The period around 1700 is recognized to be the height of Anabaptist persecution in Bern. Outstanding pillars of this repression were the failed Anabaptist deportation in March 1710 and the Great Anabaptist Exodus in July 1711. In both events, the Anabaptist leader Bendicht Brechtbühl played a key role. He quickly became one of the most important contacts for the Dutch Mennonites and their extensive relief work for the benefit of their Swiss faith cousins.

His pilgrimage in life led him from the rural Emmental via numerous stays in prison and several deportations, first to the Netherlands and later to asylum in the Kraichgau.
He wrote song texts, translated edifying devotional literature and toured East Prussia to investigate potential settlement there.  Finally, shortly before the end o his life he emigrated to Pennsylvania, settling near Strasburg in Lancaster County. 

He was willing to engage in dialogue, open to new ideas and strove to mediate the tensions of continuity and change. These qualities made him a highly respected mediator and bridge-builder across many borders and divides during his lifetime. His example is still impressive today.

 

You can read his fascinating biography „Bendicht Brechtbühl (1666-1720) – Anabaptist teacher, bridge builder and border crosser from the Emmental“ in German in Mennonitica Helvetica 36 (2013), 105-158.

Or in English in Mennonite Quarterly Review, LXXXIX (July 2015): „Bendicht Brechtbühl (1666-1720) of the Emmental: Anabaptist Teacher, Bridge Builder, and Border Crosser“.

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Von Pietisten, Separatisten und «faulen Buben»: Spuren von Muttenz und Biel-Benken nach North Carolina

Sankt-Arbogast-Kirche in Muttenz

Im Umfeld von älterem Täufertum und frühem Pietismus kommt es um 1700 europaweit zu einer Reihe von neuartigen, für die Zeitgenossen vorerst nur kaum einzuordnenden Formen kirchlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs und Protestes. Auch in der Schweiz manifestiert sich dieser Aufbruch in zahlreichen, namentlich traditionell protestantischen Regionen wie Zürich, Bern und Schaffhausen.

Im Baselbiet verfügt diese Bewegung in der Person des Frenkendörfers Andreas Boni (geb. 1673-1741) schon früh über eine zentrale Gestalt aus dem Bereich des zeitgenössischen religiösen Nonkonformismus. Boni wird 1708 in Schwarzenau bei Bad Berleburg in Westfalen zu einem der Mitbegründer der «Schwarzenauer Täufer», der heutigen Church of the Brethren, die neben Mennoniten und Quäkern zu den «Historischen Friedenskirchen» zählt. Vgl. dazu den Blog «Was Frenkendorf und Turin mit Boko Haram und Täufergeschichte zu tun haben».

Nach Boni sind es andere, von der Obrigkeit als «Fanatiker, Separatisten und Sektierer» gescholtene Personen, die im Baselbiet für alternative Modelle von Glaube und Kirche aktiv sind. Einer davon ist Hans Martin (1688-1736?) aus Pratteln, der im Rahmen seiner Tätigkeit als zwischen Täufertum und Radikalpietismus anzusiedelnder Wanderprediger und Laienevangelist seit 1720 quer durch die Lande zieht. Mal taucht er in der Nähe der Stadt Basel auf, mal im oberen Baselbiet auf dem Bölchen, mal hält er im emmentalischen Trub eine erweckliche Versammlung, mal auf dem Chasseral, mal wohnt er mit Frau und Familie auf dem Mont Soleil im Jura in enger Nachbarschaft zu dorthin geflüchteten Berner Täufern, mal versucht er im neuenburgischen Val-de-Ruz Fuss zu fassen. Für kurze Zeit versucht er auch mit der Hilfe niederländischer Doopsgezinden im friesländischen Groningen eine Bleibe zu finden, bevor er schliesslich wie so viele andere religiöse Nonkonformisten in Nordamerika sein Heil sucht. [Vgl. dazu Hanspeter Jecker, Grenzüberschreitungen – Der Fall des Hans Martin und der Anna Hodel von Pratteln (1719ff.) in Mennonitica Helvetica 24/25(2001/2002), (: 177-187).]

Der Hof Hackboden im Emmental: Hier fand Hans Martin zeitweise Unterschlupf.

Der Same religiöser Unrast und Sehnsucht, der durch diese «Laienverkündiger» quer durch die Lande ausgestreut wird, geht dann und wann auf.

So weigern sich im Frühsommer 1722 acht Männer in Muttenz bei Basel, anlässlich einer Musterung die Waffe zu ergreifen. Sie gehören zu einem Kreis von Personen, die offensichtlich von Leuten wie Hans Martin geprägt worden sind, die sich in Berufung auf Jesus und das Neue Testament immer wieder kritisch zum Waffen- und Kriegsdienst ausgesprochen hatten. Anlässlich eines Verhörs auf Schloss Münchenstein bezeichnet Leutnant Fritschi diese als «Pietisten von Muttenz» beschriebene Gruppe als «faule Buben» (Staatsarchiv Basel-Stadt Criminalia 1 A, P 7). Einer der Angeklagten, Hans Jakob Pfau, kontert diesen Vorwurf, indem er nun seinerseits seinen vornehmen Kontrahenden ebenfalls als «faulen Buben» tituliert. Als die Obrigkeit darauf ihre Muskeln spielen lässt und mit schwerwiegenden Konsequenzen und Strafen droht, geben die meisten Angeklagten zwar klein bei und versprechen Gehorsam. Aber die folgenden Jahre zeigen, dass die religiöse Unrast damit nicht vom Tisch ist. Und immer wieder geben noch Jahre später Männer und Frauen zu Protokoll, welche Rolle Hans Martin in ihrem Leben gespielt habe: „Vorhin sey ihnen nicht in Wüssen gewesen, wie man zu Unserem Jesu kommen solle, aber eben des durch Ihn den Bratteler [=Hans Martin] erfahren und der hab sie den rechten Weg zur Seligkeit gelehrt!“

Vor einiger Zeit bin ich von einem nordamerikanischen Pastor kontaktiert worden, der in einer Church of the Brethren-Gemeinde in North Carolina gearbeitet hat, die 1772 von einem Baselbieter gegründet worden sei, einem Jacob Faw (1723- ca.1790) aus Biel-Benken. Effektiv gelang es, die Geburt dieses Mannes in den Kirchenbüchern von Biel-Benken nachzuweisen: Hier war für den 3. Oktober 1723 tatsächlich die Taufe eines Jakob, Sohn des Hans Pfau dem Schmied und der Barbara Spaar eingetragen, auf den all das zutraf, was man sonst von diesem späteren Nordamerika-Auswanderer noch wusste (Staatsarchiv Basel-Landschaft, Kirchenbuch Biel-Benken 3, 18).

Taufe des Jacob Pfau in Muttenz (KB Biel Benken 3, 18)

Offenbar war einfach dessen Name von Pfau zu Faw mutiert. Allerdings ging aus keinen Akten, die ich zu dieser Person ausfindig machen konnte, irgend etwas hervor, was auf religiösen Nonkonformismus schliessen liess. Keine Kontakte zu Täufern und Mennoniten, keine Präsenz in pietistischen oder separatistischen Konventikeln – weder bei ihm, noch bei seinen Eltern oder Geschwistern.

Die reformierte Kirche von Biel-Benken (erbaut 1621): Hier wurde Jakob Pfau 1723 getauft.

Einzig an einer kleinen unscheinbaren Stelle horchte ich auf: Bei seiner Taufe in Biel-Benken war ein (Hans) Jakob Pfau aus Muttenz Götti (=Pate)! Es war höchstwahrscheinlich genau derjenige (Hans) Jakob Pfau, der sich – wie oben geschildert! – einige Monate zuvor in Muttenz als «Pietist» geoutet hatte. Das ist zwar kein Beweis, aber doch ein Indiz dafür, dass möglicherweise dieser Pate bei seinem Göttikind den Samen gesät hatte, der später – vielleicht erst in neuer Umgebung in Nordamerika – mit seiner Hinwendung zu den Schwarzenauer Täufern aufging.

Feststeht jedenfalls, dass der Sattler Jakob Pfau im Herbst 1749 mit seiner Frau Catharina Dyssly und Kindern (KB Biel-Benken 3, 392) Biel-Benken verlässt und sich nach einer schwierigen Überfahrt vorerst in Frederickstown (Maryland) im Shenandoah Valley (heute Winchester) niederlässt (SCHELBERT/RAPPOLT 1977, 136.431). Denn, so schreibt er in einem Brief vom 17. September 1750 an seine Verwandten in der Schweiz, „ihm Pänßelfania iß aleß besätz“ (= in Pennsylvania ist alles besetzt). Nach dem Tod seiner Frau verheiratet sich Jakob Pfau ein zweites Mal – erneut mit einer Biel-Benkemerin, Anna Magdalena Jundt. Später zieht er nach North Carolina weiter, wo er 1772 bei Winston-Salem die Fraternity Church gründet, die er und seine Nachkommen während mehrerer Generationen massgeblich mitprägen.

Fotos von der Facebook-Seite der aktuellen „Fraternity Church of the Brethren“

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Mennonitisches Lexikon 1 (1913) + 2 (1937)

Christian Hege / Christian Neff (Hg.) : Mennonitisches Lexikon. Erster Band (Aachen–Friedrich V.), Frankfurt am Main und Weierhof (Pfalz) 1913–24. → PDF

Christian Hege / Christian Neff (Hg.) : Mennonitisches Lexikon. Zweiter Band (Friedrich–Mähren), Frankfurt am Main und Weierhof (Pfalz) 1937. → PDF


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VON KÖNIGSPINGUINEN, RIESENSCHILDKRÖTEN UND ETHNO-PAPARAZZIS. Zur DOK-Sendung «Die Mennoniten – Fremde unter uns» im Schweizer Fernsehen SRF vom 12. März 2020

Bildergebnis für Dok Mennoniten unter uns

«Die Mennoniten sind eine ultrakonservative christliche Gemeinschaft, ähnlich wie die Amish. Sie wehren sich gegen die Einflüsse der modernen Gesellschaft und führen ein Leben wie im 19. Jahrhundert. DOK gewährt einen seltenen Einblick in diese verschlossene Gesellschaft.» (Bild und Originalzitat stammen vom Medienportal des Schweizer Fernsehens SRF, beides wurde von zahlreichen Pressestellen und Medien in ihren TV-Programmhinweisen unverändert übernommen)

Mit grosser Regelmässigkeit tauchen alle Jahre wieder in unseren Medien dokumentarische Berichte auf über konservative mennonitische Gruppen nicht nur, aber vor allem aus Lateinamerika. Um es etwas unverblümt zu sagen: Anstatt Königspinguine auf den subantarktischen Prinz-Edward-Inseln oder Riesenschildkröten auf Galapagos wird hier von Ethno-Paparazzis Jagd auf konservative mennonitische Randgruppen wie die Sommerfelder oder die Altkolonier in Mexiko, Bolivien oder Belize gemacht. Die journalistische Ausbeute wird dann in Hochglanz-Magazinen oder TV-Dokus einem breiteren Publikum vorgelegt.

Was dabei immer wieder für Irritation bis Verärgerung bei mir sorgt, sind meist zweierlei Aspekte.

Zum einen ist es die oft undifferenzierte Darstellung, die glauben lässt, ALLE oder wenigstens die meisten Mitglieder täuferisch-mennonitischer Kirchen seien, leben und glauben so oder ähnlich wie die portraitierte Randgruppe (vgl. die Anmerkung unten). Kein Journalist kann es sich heute leisten, eine radikal-islamistische IS-Splittergruppe zu portraitieren und darüber die Überschrift „Was Muslime glauben“ zu setzen. Warum kann die gleiche differenzierende Sorgfalt nicht auch bei vergleichsweise kleinen Bewegungen wie „DEN Mennoniten“ zum Tragen kommen?

Zum andern ist es das oft ausgeprägte Bestreben der AutorInnen dieser Dokumentationen, vor allem das Exotisch-Schräge, Hinterwäldlerisch-Enge und Skurril-Bornierte zu betonen, das diese Gruppen ihrer Ansicht nach auszeichnet. Dieser Fokus ist zwar einigermassen nachvollziehbar. Leider wird dann allerdings oft kaum je historisch aufgearbeitet, warum und wie es zu diesen teils eindrücklichen, teils ja aber durchaus auch frag-würdigen Entwicklungen überhaupt gekommen ist. Gezeigt werden dann allenfalls die bei diesen Gemeinschaften im Gefolge von Isolation und Abschottung oft auch prompt auftauchenden Zwänge und rigiden Sozialkontrollen, bis hin zu vielfältigen Formen von Missbrauch. Aber was das mit Weichenstellungen rund um Identität und Solidarität, Anonymität und Zugehörigkeit, Beliebigkeit und Gruppendruck zu tun haben könnte, mit denen Menschen nicht nur im hintersten Belize, sondern hier und jetzt auch bei uns täglich konfrontiert sind, das rückt selten ins Blickfeld.

Bisweilen gelingt es zwar, diese beiden Klippen einigermassen zu umschiffen. Als Beispiele dafür könnten gelten zum einen der Spielfilm «Stellet Licht» von Carlos Reygadas (2007) aus dem südamerikanischen Kontext, oder etwa auch Peter von Guntens «Im Leben und über das Leben hinaus» (2005) über Mennoniten im schweizerischen Jura und deren in die USA geflüchtete und ausgewanderte Glaubensververwandte.
Aber leider ist die Zahl der Gegenbeispiele erheblich grösser. Und auch der DOK-Film von SRF „Die Mennoniten – Fremde unter uns“ reiht sich da meines Erachtens mit seinen Pauschalisierungen über DIE (!) Mennoniten leider einigermassen nahtlos ein…

Als Schweizerischer Verein für Täufergeschichte zählt die Erforschung der auf das russlanddeutsche Täufertum zurückgehenden Gruppen der Altkolonier nicht zum Kerngeschäft. Aber da die meisten Zivilgesellschaften und Kirchen stets ihre konservativen Flügel mit ihren teils sehr eigenwilligen Sonderentwicklungen haben, ist das Thema natürlich auch für die Geschichte des schweizerischen Täufertums nicht fremd (vgl. z.B. die Geschichte der Amischen!). Nur: „Ultrakonservative“ Tendenzen sind für überhaupt keine Form von Gesellschaft und menschlichem Zusammenleben fremd. Eine kritische Aufarbeitung des Spannungsfeldes von Kontinuität und Wandel ist darum auch im Hinblick auf aktuelle lokale und globale Transformationsprozesse alles andere als überflüssig.

Schade einfach, wenn Chancen zu solch einer historisch nuancierten, kritischen, aber fairen Aufarbeitung von Themen, die uns alle etwas angehen, nicht genutzt werden. Selbst aus einem Portrait über «ultrakonservative Gemeinschaften» wie die Altkolonier in Belize könnte dann ein Nachdenkprozess angeregt werden, der etwas mit unserer eigenen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Gegenwart zu tun hat – und über bloss überheblich-distanzierten Voyeurismus hinausgeht.

Und wem nach dem SRF-DOK an einem differenzierteren Überblick über die Vielfalt täuferisch-mennonitischer Kirchen gelegen ist, der/die darf sich gern mit den nachfolgenden Lesehinweisen schlau machen.

*Näheres zu den Altkoloniern hier. Zur Einordnung von Altkoloniern und Sommerfeldern in die gesamte Geschichte der täuferisch-mennonitischen Bewegung vgl. dies hier. Zur neueren Geschichte täuferisch-mennonitischer Kirchen vgl. den weltweiten Überblick in der Reihe der Global Mennonite History Series, teils auch in deutscher Übersetzung. Zur Mennonitischen Weltkonferenz, der die portraitierten Altkolonier-Gruppen allesamt nicht angehören, vgl. hier.

 

Nachtrag: Das ORF 2 zeigt am 20. April 2021 um 22.35 Uhr unter dem neuen Titel „Die Amish aus dem Dschungel – Warum die Mennoniten in den Regenwald ziehen“ denselben Film von Mélanie van der Ende ebenfalls. Es wird sich zeigen, inwiefern die angekündigte „ORF-Bearbeitung“ der Dokumentation einige Akzente neu zu setzen vermochte, zumal in der redaktionellen Rahmung des Beitrags.

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Soeben erschienen: MENNONITICA HELVETICA 42

Wenn schon kein richtiger Winter, dann wenigstens zum Frühlingsanfang eine neue Ausgabe von MENNONITICA HELVETICA !

Soeben erschienen ist der Tagungsband des Kolloquiums „Erneuerungsbewegungen und Täufergeschichte“ vom 27. – 29. März 2019 auf dem Bienenberg. Die 13 Hauptbeiträge in deutscher, französischer und englischer Sprache beleuchten das Thema der Tagung unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Stichworte REFORMATIONSGEDENKFEIERN – RENEWAL – RIGHT REMEMBERING.

Den Vereinsmitgliedern wird der Tagungsband als MENNONITICA HELVETICA 42 (2019) in nächster Zeit zugestellt werden. Gerne nimmt unser Verein auch Einzelbestellungen entgegen.

Hier ein Überblick zum Inhalt des Tagungsbandes:

 

INHALTSVERZEICHNIS / TABLE DES MATIERES

Hanspeter Jecker

Zum Geleit / Editorial

3 – 6

 

ABHANDLUNGEN / ETUDES

 

Hans Rudolf LAVATER (CH)

Die Krise von Kappel 1531/32 und die Täufer in Bern und Zürich

7 – 23

 

 C. Arnold SNYDER (CAN)

An Anabaptist vision for church reform in late 16th century Switzerland

24 – 29

 

Johannes REIMER (BRD)

Litauische Brüder – Täufer in Weissrussland zur Zeit der Reformation

40 – 50

 

Karl KOOP (CAN)

An Appeal for Toleration in an Age of Conflict. Peter Pietersz’s «Way to the City of Peace»

51 – 63

 

Hanspeter JECKER (CH)

Die Entstehung der Amischen (1693ff.) – Chronologie und Hintergründe des Zerbruchs eines kirchlichen Transformationsprozesses

64 – 80

Einer der frühesten Hinweise auf die Konversion zum Täufertum von Jakob Amman: sein viermaliges Ausbleiben vom reformierten Abendmahl. Mehr dazu in MH 42 (2019) !

 

Astrid VON SCHLACHTA (BRD)

«Bleiben hangen in der Todesfurcht». Erweckliches Predigen als „Ausweg“ oder „Ärgernis“

81 – 93

 

Alfred NEUFELD

Erweckung oder Kirchenspaltung? Die Entstehung der Mennoniten-Brüdergemeinde 1860

94 – 110

 

Johannes DYCK

Erneuerung unter Totalitarismus: Fallstudie zum mennonitischen Neuanfang in der Sowjetunion seit dem II. Weltkrieg

111 – 122

 

Markus JOST

 Die Rolle der Bibel bei Erneuerungsbewegungen in der Täufergeschichte

123 – 135

 

Knut V. M. WORMSTÄDT (BRD):

«Recht erinnerte» Reformation. Gemeinsame Geschichtserzählungen als Ermöglichungs-Raum für eine Kirchengeschichte unter dem «Right Remembering»-Paradigma

136 – 147

 

Neal BLOUGH

Le cheminement vers l’œcuménisme: une contribution au renouveau de l’identité mennonite?

148 – 157

 

John D. ROTH

Die «Renewal 2027»-Dekade der Mennonitischen Weltkonferenz und die Herausforderung von Erneuerung in der täuferisch-mennonitischen Tradition

158 – 166

 

Denis KENNEL

Eléments de synthèse

167 – 170

 

 

VEREIN / SOCIETE

 

Jahresbericht 2018/19 / Rapport annuel

171 – 173

 

Vorstandsmitglieder / Comité 2019

174

 

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Verschwundene Akten in Schweizer Archiven: Was die Crypto-Spionage-Affäre mit Täufergeschichte zu tun hat

Von mehr als 20 massiven Protokollbänden der bernischen „Täuferkammer“ sind einzig diese vier im Staatsarchiv Bern erhalten. Alle andern sind „spurlos verschwunden (worden?!)“ (Foto HPJ)

Nicht nur die schweizerische Öffentlichkeit staunt über das internationale Ausmass der Spionage-Affäre, die im Umfeld der Zuger Dechiffrier-Firma Crypto in diesen Tagen aufgedeckt worden ist. Wegen der offenbar grossen Auswirkungen der Affäre auf die Weltpolitik der letzten Jahrzehnte müssten nun sogar – so einige Schweizer Medien wie der «Tagesanzeiger» – bald die «Geschichtsbücher auf der ganzen Welt angepasst» werden.

Involviert in diese Affäre sind massgeblich die US-amerikanische CIA und der deutsche Bundesnachrichtendienst BND – aber offensichtlich gab es auch bei Schweizer Behörden Mitwissende. Bei entsprechenden Recherchen kam nun zum Vorschein, dass prompt auch ein zentrales Dossier im schweizerischen Bundesarchiv offenbar spurlos verschwunden ist. Es handelt sich dabei um frühere Untersuchungsakten der Bundespolizei zum Fall Crypto.

Beim Stichwort «Verschwundene Akten» in delikaten Angelegenheiten juckt es den Täufergeschichts-Historiker natürlich, auf schweizerische Parallelen hinzuweisen. Und Zufall oder nicht: Auch dabei geht es um das mittlerweile zur Hauptstadt dieses Landes aufgestiegene Bern.

Staatsarchiv Bern – Wichtigste Dokumentationsstelle für die Erforschung der Geschichte des Berner Täufertums (Foto HPJ)

Die leidvolle Geschichte des schweizerischen Täufertums mit politischen und kirchlichen Behörden ist in diesem Blog schon mehrfach vorgestellt und diskutiert worden. Und es ist bekannt, dass jede eingehendere Beschäftigung mit der Geschichte des bernischen Täufertums in der Phase seiner intensivsten Repression durch die Obrigkeit – also zwischen 1650 und 1750 – mit einer schwierigen Quellenlage konfrontiert ist. Ebenfalls bekannt ist es, dass Bern im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem religiösen Non-Konformismus auf eigenem Territorium im Verlauf des 17. Jahrhunderts spezielle Ministerien und Kommissionen geschaffen hat mit weitreichenden Vollmachten. Der Kampf gegen das Täufertum oblag dabei vollständig den «Committierten zum Teüffergeschäft», später auch als «Täuferkammer» bezeichnet. Einziger Auftrag dieses Ministeriums war es, das bernische Territorium «täuferfrei» zu machen. Manche sprechen dabei heute von versuchtem Ekklesiozid. Fast alle in diesem Zusammenhang bedeutsamen Akten wurden an die «Täuferkammer» weitergeleitet, viele wurden von ihr selbst erstellt und das allermeiste war hier in Original und Abschriften archiviert worden.

Wer diese schwierige Geschichte heute recherchieren will, ist konfrontiert mit einer wenigstens quantitativ noch viel umfangreicheren Lücke in den einschlägigen Aktenbeständen, als es heute bei der Crypto-Affäre der Fall ist.

Wir wissen heute, dass von den weit über 20 umfangreichen Manualen der bernischen Täuferkammer bloss die letzten vier im Staatsarchiv Bern erhalten sind (vgl. Foto oben). Sie tragen die Signaturen B III 190 bis B III 193 und stammen aus den vergleichsweise ruhigen Jahren 1721 bis 1743.

Sämtliche übrigen Protokollbände und die allermeisten weiteren Unterlagen dieser Kommission von ihrer Entstehung im Jahr 1659 bis ins Jahr 1721 sind jedoch verschollen und «spurlos verschwunden». Dass das Verschwinden dieser Dokumente mit teils höchst brisantem und kompromittierendem Inhalt möglicherweise nicht ganz zufällig erfolgt ist, liegt auf der Hand.

Nicht zuletzt darum, weil es dabei immer auch um viel Geld, um sehr viel Geld ging, das den Täuferinnen und Täufern jahrzehntelang konfisziert wurde und nicht selten in den privaten Taschen von bernischen Spitzenfunktionären landete.

Aber neben Geld ging es schlicht und einfach auch um himmelschreiendes Unrecht, das Menschen angetan und unermessliches Leid, das ihnen zugefügt worden ist.

Die Frage stellt sich effektiv: «Spurlos verschwunden» – oder vielleicht doch eher «spurlos verschwunden worden»?!

Namen über Namen von bernischen Täuferinnen und Täufern, die von der „Täuferkammer“ aufgeboten, verhört, inhaftiert, enteignet oder ausgeschafft worden sind – fein säuberlich aufgelistet im Index eines Täuferkammer-Manuals (StABE B III 190, 489f.) (Foto HPJ)

Verglichen mit all dem Unrecht und Leid, das möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Crypto-Affäre anderen Menschen zugefügt beziehungsweise vertuscht worden ist, mögen die täufergeschichtlichen Ereignisse vergleichsweise «marginal» gewesen sein.

Aber selbst wenn heute bereits auch Stimmen auftauchen, die behaupten, dass durch die Crypto-Machenschaften möglicherweise auch etliches Leid verhindert werden konnte (was es erst noch zu beweisen gilt – und wobei es zu prüfen gilt, ob damit bloss eigenes Leid gemeint ist, auf Kosten des Leidens anderer…):

Das «Verschwinden von Akten» bleibt ein Fakt, der zum doppelt sorgfältigen Nachprüfen der betreffenden Ereignisse verpflichtet: Was soll hier möglicherweise vertuscht und verschwiegen werden, was es um der Gerechtigkeit und um der Würde und auch um der Werte der davon direkt betroffenen Menschen willen jetzt um so mehr zur Sprache zu bringen gilt?

Täufergeschichte ist ein ganz kleiner Bereich, wo das geschehen kann und weiterhin geschieht. Wie das auf eine Weise geschehen kann, die bis in die Gegenwart relevant ist und bleibt, ist weiterhin auch das Anliegen des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte. Und vielleicht kann ja hier auch am historischen Beispiel eingeübt werden, was in der aktuellen Gegenwart immer wieder angewandt werden muss…!

 

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Irritationen um Jörg Grebel und Konrad Blaurock – Anmerkungen zu einem (nicht mehr ganz) neuen (Fast-)Täuferroman aus dem Glarnerland

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Alfonso Hophan: Die Chronik des Balthasar Hauser. Salis-Verlag, Zürich 2014. 352 Seiten, Fr. 34.80.

Im Ringen um Erneuerung von Kirche und Gesellschaft im 16. Jahrhundert tauchte die Täuferbewegung in vielen Regionen der Schweiz auf. Im Zeitalter von Luther, Zwingli und Calvin bildete das Täufertum einen alternativen reformatorischen Ansatz. Schon früh trat es für Glaubens- und Gewissensfreiheit, für kirchliche Unabhängigkeit von Obrigkeiten und für Gewaltverzicht ein. In der alles dominierenden Auseinandersetzung zwischen «Altgläubigen» (Katholiken) und «Neugläubigen» (Evangelischen) fanden täuferische Gruppen längerfristig aber kein Gehör, sondern wurden rasch von allen Seiten systematisch unterdrückt und verfolgt.

Nur in wenigen Gegenden der Schweiz konnten sich täuferische Kreise über das 16. Jahrhundert hinaus behaupten, in ununterbrochener Kontinuität nur in einzelnen Gebieten im Kanton Bern.

So kann es nicht überraschen, dass vor allem das bernische Täufertum denn auch wiederholt Thema in der Belletristik geworden ist. Seit 1900 entstand eine Reihe von Novellen und Romanen, von denen hier einige der wichtigsten genannt seien: Ernst Martis «Zwei Häuser – zwei Welten» (1911), Rudolf von Tavels «Frondeur» (1929), Walter Lädrachs «Passion in Bern» (1938), Katharina Zimmermanns «Die Furgge» (1989), Marie Kuhlmanns «Les Frères amish» (2013) und Werner Rysers «Das Ketzerweib» (2016).

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Seltener sind Erzählungen, in denen das Täufertum in anderen Regionen der Schweiz thematisiert wird. Dazu gehört etwa Gottfried Kellers Novelle «Ursula» (1878) oder der von Daniel Guts vor dem Abschluss stehende Roman «Funks Stille» – beide im Zürcher Hinterland angesiedelte Werke – oder René Schurtenbergers «Der Ketzer von Basel» (2009).

Vollends überraschend ist es, wenn ein Roman in einer Region spielt, wo über das lokale Täufertum kaum etwas bekannt ist. Dies ist der Fall bei Alfonso Hophans Erstling «Die Chronik des Balthasar Hauser», welche das Ringen um kirchliche Erneuerung im innerschweizerischen Glarus zwischen 1525 und 1535 zum Thema hat.

Schweizer Karte mit Umriss des heutigen Kantons Glarus (Wikipedia, Von Tschubby – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=85100837)

Nun ist es zwar nicht so, dass das Täufertum in diesem Buch eine absolut zentrale Rolle spielt. Aber das Leben des als Ich-Erzähler auftretenden Balthasar Hauser nimmt im Roman Hophans doch dramatische Wendungen, die ohne täuferische Einwirkungen nicht denkbar gewesen wären.

Über weite Strecken hält sich der Autor eng an das, was von der Glarner Geschichte jener Zeit bekannt ist, insbesondere an das, was Valentin Tschudi (1499-1555) in seiner Chronik der Reformationsjahre 1521–1533 geschrieben hatte. Im Hintergrund steht die Information, dass der spätere Reformator Ulrich Zwingli als junger Priester jahrelang in Glarus tätig war und dass die späteren Glarner Erneuerer in enger Verbindung zur Zürcher Reformation gehandelt hätten.

Zum Inhalt: Nachdem der zwölfjährige Bauernsohn Balthasar „Baltzli“ Hauser aus Bilten schon seinen Vater als Söldner in Italien verloren hat, wird er nach dem Tod seiner Mutter aufgrund der Pest im Jahr 1526 zur Vollwaise. Von Pflegeplatz zu Pflegeplatz weitergereicht, durchlebt er im Glarnerland die aufbrechenden Wirren im Ringen um den rechten Glauben am eigenen Leibe. Zwei Begegnungen mit führenden Täufern seiner Zeit verändern sein Leben dann aber nachhaltig: Jörg Grebel und Konrad Cajakob. Der heranwachsende Baltzli sieht in der täuferischen Bewegung das Potential, die Menschheit so umfassend zu verändern und zu befreien, dass alle sozialen Schranken wegfallen – und dass dadurch nicht zuletzt er selbst doch noch mit seiner Jugendliebe Sophie aus vornehmem Haus zusammenfinden kann…

So verwundert es wenig, dass Baltzli immer tiefer in täuferische Kreise im Glarnerland eintaucht. Während dabei Grebel in einem sehr gütigen, warmherzigen und anziehenden Ton beschrieben wird, erscheint Cajakob als äusserst unsympatischer, rücksichtsloser Manipulator und Demagoge, der die Unsicherheiten seiner Zeitgenossen schamlos für den eigenen Vorteil nutzt. Der innertäuferische Gegensatz kulminiert in der Folge in der vom «Wolf» Cajakob inszenierten Ermordung Grebels – ohne dass dies aber zum Bruch Baltzlis mit den Täufern führt. Vielmehr wird er immer tiefer hineingezogen und nimmt Teil an diversen gewaltsamen Kirchenplünderungen und Bildersturm-Aktionen.

Bildersturm im Glarnerland (1526). Quelle: URL: https://www.glarus24.ch/artikel/bildersturm-im-glarnerland-2413761/#fancybox-13761

Es soll an dieser Stelle nicht alles verraten werden – nur dies: In seiner wachsenden Gewissens-Irritation über das, was er hier auf Anweisung Cajakobs an zunehmenden Gewalttaten verübt, begegnet er just jenem obgenannten Chronikautor Valentin Tschudi. Ihm – diesem historisch nachweislich auf Ausgleich zwischen den Konfessionsparteien bedachten Theologen und Pfarrer in Glarus – beichtet er seine Taten und findet bei ihm Wohlwollen und Aufnahme. Aus Solidarität und pädagogischer Rücksicht tilgt darauf Tschudi in seiner Chronik all jene Passagen über kirchenstürmerische und gewaltsame Aktionen, an denen Baltzli und seine Täuferfreunde beteiligt waren…

Aus Dankbarkeit zu seinem Wohltäter Tschudi, bei dem er nun in der Folge Lesen und Schreiben lernt, schreibt der alternde Balthasar Hauser seine eigene Chronik. Sie ist das Buch, das Alfonso Hophan vorerst als Maturarbeit eingereicht, und ein paar Jahre später in überarbeiteter Form als Roman zum Druck bringt.

Dass Tschudi zum Schutz seines Schützlings Balthasar Hauser alle Passagen aus seiner Chronik tilgt über die täuferische Beteiligungen an den Glarner Reformationswirren, ist ein cleverer Kunstgriff, der es dem Autor Hophan erlaubt, diejenigen Geschichten zu erzählen (bzw. via den alten Hauser retrospektiv erzählen zu lassen), die in Tschudis Chronik offenbar «fehlen». Selber sagt er dazu: «Es ist eine fiktive Geschichte. Fiktiv, aber basierend auf historisch belegte Daten». In der Tat: Das «Reislaufen», den «Schwarzen Tod», die Bilderstürme, das Zerstören katholischer Reliquien, das alles ist so passiert. Auch Personen wie den Glarner Pfarrer Valentin Tschudi* und seine Reformationschronik hat es gegeben. Dann aber bekennt der Autor Alfonso Hophan ehrlicherweise auch: «Einzig bei den Täufer-Sekten habe ich dazu erfunden. Es ist historisch nicht belegt, dass diese auch bis ins Glarnerland hinauf kamen.» (In: Glarner Woche vom 26.10.2011, S.10)

Glarus von S�den

Glarus um 1540. Nach einem Holzschnitt von Hans Asper von 1547. Quelle: URL http://www.altglarus.ch/grafiken.php.

Effektiv sind bisher kaum Quellen bekannt, welche die Geschichte täuferischer Einzelpersonen oder Gruppen im Glarnerland bezeugen. Auch in den vierbändigen Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz fehlen Hinweise auf Glarus weitestgehend, ebenso wie im neuen Standardwerk „Die schweizerische Reformation“. Insofern ist es auch durchaus konsequent, wenn Hophan die Namen der beiden täuferischen Schlüsselfiguren in seinem Roman in bezeichnender Weise über’s Kreuz verfremdet: Aus den historisch bezeugten Konrad Grebel und Jörg Cajakob alias Blaurock werden Konrad Cajakob und Jörg Grebel!

Beide repräsentieren im vorliegenden Buch Licht und Schatten des zeitgenössischen Täufertums. Und auch wenn man angesichts der jahrhundertlangen Pauschalverunglimpfung des Täufertums bedauern kann, dass hier – trotz aller aktuellen «Versöhnungs-Events» zwischen täuferischen und evangelischen Kirchen im Umfeld der Reformationsgedenkfeiern – das Dunkle und Hässliche mit Cajakob einmal mehr die Oberhand bei der Charakterisierung des Täufertums behält: Wer wollte die Warnung Ernst Jandls in den Wind schlagen, der bekanntlich die folgenden Zeilen mit «lichtung» überschrieb:

«manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum»

(Ernst Jandl: Laut und Luise. Walter, Olten 1966, 175)

* Tschudi war einer der Lieblingsschüler Ulrich Zwinglis, als dieser von 1506 bis 1516 Priester in Glarus war – just auf der Stelle, die Tschudi selber von 1522 bis zu seinem Tod 1555 bekleidete! Zum neuen Zwingli-Film vgl. unseren Blog „Zwingli und die Täufer auf Grossleinwand„.

 

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Dokumentarfilm über Täuferroman-Autorin Katharina Zimmermann (Die Furgge)

Katharina Zimmermanns 1989 erschienener Täufer-Roman «Die Furgge» hat weit über das Bernbiet hinaus ein breites Echo gefunden. Zusammen mit Grossanlässen wie dem «Täuferjahr 2007» im Emmental hat es viel dazu beigetragen, die leidvolle Geschichte dieser «religiösen Nonkonformisten» in der Schweiz aufzuarbeiten. Bis in die laufenden Reformationsgedenkfeiern hat «Die Furgge» ihre Spuren hinterlassen.

2017 ist der Roman sogar in einer englischen Übersetzung publiziert worden. Bei dieser Gelegenheit entstand auch ein längeres Interview in englischer Sprache.

Aktuelle News zur Täufergeschichte stets hier.

Wer mehr über die Autorin Katharina Zimmermann erfahren wollte, war gespannt auf die Ankündigung des Dokumentarfilms «Das letzte Buch» über das «aufregende Leben» der Furgge-Autorin.

Leider lief und läuft der Film fast nur in bernischen Kinos – da galt und gilt es achtsam zu sein auf die Vorführtermine.

Derzeit läuft «Das letzte Buch» beispielsweise in Brienz im Berner Oberland – und Ende Monat an den Solothurner Filmtagen.

 

Zu täuferischen Bezügen von Brienz vgl. übrigens auch das hier.

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