Schloss Trachselwald ist für die Geschichte der Täufer in der Schweiz ein Symbol für deren Repression durch einheimische politische und kirchliche Obrigkeiten. Es ist aber auch ein Symbol für die Bereitschaft und den Mut, für eigene Werte und Überzeugungen auch dann einzustehen, wenn es notfalls einen hohen Preis zu bezahlen gilt.
In den letzten Tagen konnte die Konferenz der Mennoniten der Schweiz darüber berichten, wie dank eines Vertrages mit dem Kanton Bern auf Schloss Trachselwald demnächst eine Ausstellung eingerichtet werden soll, um die Geschichte der Täufer darzustellen und über deren aktuelle Bezüge für die Gegenwart nachzudenken.
Schlösser wie dasjenige in Trachselwald im Emmental waren – nicht nur für die Täuferinnen und Täufer, sondern für sämtliche Untertanen bzw. für die gesamte sogenannt «einfache Bevölkerung» – jahrhundertelang Symbol für die Unterdrückung durch die Mächtigen. Kein Wunder, dass nur wenige solche Schlösser einigermassen unbeschadet bis heute überlebt haben: Früher oder später hat der «Volkszorn» viele von ihnen zerstört, und nur wenige haben die Zeit der Französischen Revolution überlebt und nur wenige können demzufolge heute noch als Denk- oder Mahnmal besucht werden.
Über Denk-Mäler wurde in den letzten Tagen intensiv debattiert. Im Zusammenhang mit der «Black-Lives-Matter»-Bewegung sind in den USA zahlreiche Statuen von historischen Persönlichkeiten, deren Bezüge zu Sklavenhaltung und Rassismus neu in den Fokus breiterer Bevölkerungskreise gerückt sind, umgestürzt und zerstört oder von den Behörden abmontiert worden. Selbst «Helden» mit schweizerischer Vergangenheit, wie ein «General Sutter» aus Rünenberg im Baselbiet, sind (zurecht!) erneut ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Eine Statue im kalifornischen Sacramento, 1987 noch von der Baselbieter Regierung mitfinanziert, ist Mitte Juni entfernt worden.
Interessanterweise ist just diese Woche – inmitten der globalen Denkmaldebatten – das gerade auch von täufergeschichtlichen Exkursionsgruppen oft besuchte Zwinglidenkmal vor der Zürcher Wasserkirche nach einjähriger restaurationsbedingter Absenz wieder installiert worden. Die aus friedenskirchlich-täuferischer Perspektive kritisierte Synthese von Bibel und Schwert, wie sie weit über Zwingli hinaus in der offiziellen Christenheit weltweit jahrhundertelang das Sagen hatte, ist bei vielen Betrachtern dieser Zwinglistatue wohl der stärkste und nachhaltigste Eindruck. In der einen Hand die Bibel, in der andern das Schwert, so steht der Zürcher Reformator aus einer Bildhauer-Werkstatt des späten 19. Jahrhunderts monumental und pathetisch da und blickt über seine Betrachter hinweg über den Zürichsee hinaus – dorthin wo ganz nebenbei ja nicht nur seine zeitgenössischen katholischen Gegner hausen, sondern noch etwas näher auch einige seiner täuferischen Kritiker im Zürcher Hinterland…
In einem anregenden Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung aus Anlass dieser Rückführung der Zwingli-Statue am 16. Juni an ihren angestammten Standort lässt der Journalist Urs Bühler den Zürcher Reformator in einem fingierten Selbstgespräch monieren: «Vielleicht finden die Moralhüter ja eines Tages ein historisches Motiv, auch mich niederzureissen, etwa weil sie den Reformator als Kriegsgurgel verschreien oder als verkappten Frauenhelden.»
Aus täufergeschichtlicher Optik sei dem hinzugefügt: Fehlt nur noch, dass Zwingli wegen seiner political incorrectness in Form der Repression einer religiösen Minderheit – der Täufer nämlich – vom Sockel geholt wird. Oder dass er, weniger gewalttätig zwar, aber doch gleicherweise medienwirksam, regelmässig mit Farbe bekleckert wird, die einige Nachtbuben ihm in der Gestalt einer Friedenstaube auf seinen Theologenrock aufgesprayt hatten – und wo manche Experten frappante Ähnlichkeiten dieser Peace-Graffiti mit dem mennonitischen MCC-Hilfswerk-Logo feststellen zu können glauben…
Nun, die Zwingli-Statue steht also wieder am alten bekannten Ort. Noch steht sie nicht im Zentrum neuzeitlicher Bilderstürmer und denkmalstürzlerischer Ikonoklastinnen: Die schweizerische Öffentlichkeit holt bekanntlich derzeit andere reformierte Grössen von den Sockeln…. Die neue alte Zwingli-Statue bietet damit weiterhin Hundertschaften von (nicht nur) täufergeschichtlichen Tour-Guides willkommenen Anlass, um über «Bibel und Schwert» nachzudenken. Und um dabei Freundliches und Weniger-Freundliches über Zwingli und über grosskirchliche Theologie und Glaubenspraxis zu sagen. Und manche dieser Tour-Guides fügen dann natürlich auch noch viel Gutes (und ja, bisweilen auch einiges weniger Gutes) über die täuferische pazifistische Alternative an…;-)
Einer, der im Rahmen unzähliger Anabaptist History Heritage Tours auch die Schweiz regelmässig Male bereist hat und mit seinen täuferhistorischen Touristengruppen oft auch vor dem Zwingli-Denkmal über «Bibel und Schwert» nachgedacht hat, ist der mittlerweile 90jährige John L. Ruth aus Pennsylvania. Eindrücklich bleibt seine 2011 gehaltene Rede im unweit des Zwinglidenkmals liegenden Rathaus. Sein Vortrag vor der Zürcher Kirchensynode illustriert in bewegenden Worten, wie eine schwierige Vergangenheit durchaus auch für Versöhnung in Gegenwart und Zukunft fruchtbar gemacht werden kann (Abdruck in Mennonitica Helvetica 34/35 (2011/2012), 257-258).
John L. Ruths soeben im Rahmen des 50jährigen Jubiläums der nordamerikanischen Reiseorganisation TourMagination auf YOUTUBE publizierter Film «Is There a Lesson? A Heritage Documentary» ist ein faszinierender Einblick in sein eigenes lebenslanges Engagement, um (Täufer-)Geschichte für die Gegenwart fruchtbar zu machen – und in diesem Sinne auch ein bedenkenswerter Beitrag zur aktuellen Denkmal-Debatte! Denn auch in Sachen Denkmäler und Erinnerungskultur gilt es wohl noch einige Lektionen zu lernen…