Das Wurstessen im Hause Froschauer in Zürich von März 1522

In diesen Tagen jährt es sich zum 500. Mal: Anfang März 1522 wurde im Hause des Zürcher Buchdruckers Christoph Froschauer inmitten der vorösterlichen Fastenzeit verbotenerweise Wurst gegessen. Das allein wäre noch kein Skandal gewesen, zumal wohl schon seit je her – wenigstens im stillen Kämmerlein – viele Menschen sich nicht strikt an die Anweisungen der Kirche hielten.

Gedenktafel in einem Hinterhof in der Froschaugasse unweit der ehemaligen Froschauer-Druckerei (Foto HPJ)

Hier aber wurden die geltenden Gebote bewusst und in provozierender Weise gebrochen. Und zwar nicht von «irgendwem». Vielmehr war mit Ulrich Zwingli der führende Reformprediger zugegen, und mit ihm die «Crème de la crème» derjenigen Menschen, die sich damals in der Limmatstadt für eine Erneuerung von Kirche und Gesellschaft stark machten und dies nach den Massstäben der neu ins Zentrum der ethischen Entscheidungsfindung gerückten Bibel bewerkstelligen wollten.

Wurstessen im Zwinglifilm von Stefan Haupt (2019): Links am Tisch Ulrich Zwingli und Leo Jud, rechts am Tisch die späteren Täufer Konrad Grebel und Felix Mantz, in der Mitte der Buchdrucker Froschauer. (Foto: Copyright C-Films)

Im Nachhinein gilt jenes berühmt gewordene Wurstessen als eines der wichtigsten Symbole für den Auftakt der Reformation in Zürich. Noch waren hier Menschen einigermassen einträchtig zusammen, deren divergierende Ansichten darüber, wie rasch und wie umfassend die Erneuerung sein sollte, sie später zu vehementen Gegnern werden liessen. Noch assen und sassen sie miteinander am selben Tisch, die später zu den Pionieren und Mitbegründern evangelisch-reformierter und täuferisch-mennonitischer Kirchgemeinden werden sollten. (Zur obigen Foto aus dem Zwinglifilm vgl. auch diese Anmerkungen)

Aus Anlass dieses Wurstessens vor 500 Jahren finden nun am Wochenende des 5. und 6. März 2022 in Zürich zwei Gedenk-Veranstaltungen statt. Eine Ökumenische Tagung mit dem programmatischen Titel «Ein Fasten wie ich es liebe – Warum uns die Kirche nicht Wurst ist» am Samstag, und ein Ökumenischer Festgottesdienst im Grossmünster am Sonntag. (Fotos der beiden Veranstaltungen jetzt unter https://www.zhref.ch/)

Im Zentrum des gemeinsamen Nachdenkens soll aber nicht die Vergangenheit sein, sondern Gegenwart und Zukunft. Auf dem Einladungsflyer heisst es darum:

«Wenn ein simples Wurstessen eine Revolution auslösen kann, was könnte nicht alles passieren, wenn wir über uns gemeinsam als Reformierte, Katholische und Täufer Gedanken zur Zukunft von Kirche und Welt machen. Nicht das was uns damals trennte soll das Thema sein, sondern was wir heute für die gemeinsamen Aufgaben in der Welt mitbringen und teilen können.»

Gerade rechtzeitig zu den beiden Anlässen ist in diesen Tagen auch das neue Jahrbuch  Mennonitica Helvetica des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte erschienen.

Erneut bietet es reichhaltigen Stoff, um einerseits die vielfältige Geschichte von Täuferinnen und Täufern kennen zu lernen. Anderseits regt es an, über das nachzudenken, was aus dieser Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft gelernt werden könnte, um es – wie der erwähnte Flyer es formuliert – «heute für die gemeinsamen Aufgaben in der Welt mitbringen und teilen (zu) können». Und diese Aufgaben sind durch die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen und Monate (Ukrainekrieg, Covid, Klimawandel etc.) bestimmt nicht kleiner und einfacher geworden…

Gerade auch die aktuelle Ausgabe von Mennonitica Helvetica nimmt dabei intensiven konkreten Bezug auf das Zürcher Täufertum, etwa in Urs B. Leus Beitrag «Der böβ Verfürer zů Edikon», einer spannenden biographischen Skizze des Zürcher Oberländer Täuferlehrers Hans Müller (1603–1663/66).

Von Hans Müller geschriebener Brief vom 24. Mai 1636 an den Zürcher Rat (StAZH, E I 7.5., Nr. 133).

In einem anderen Beitrag wird der Zürcher «Historienmaler» Georg Ludwig Vogel (1788–1879) und seine «Wiedertäufer»-Zeichnungen von 1826 vorgestellt. Der Autor Heinrich Thommen fragt dabei nach möglichen Motiven und Hintergründen, die einen bekannten Zürcher Künstler bewogen haben könnten, die abgeschieden im Jura lebenden Täufergemeinschaften zu besuchen. Weitere Artikel setzen sich mit Themen auseinander, die noch stärkeren Bezug zur Gegenwart haben, etwa mit der Frage, wie alte Täuferlieder musikalisch und künstlerisch für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden können (durch Vital Gerber). Oder es wird eine junge Täuferin portraitiert, deren diakonisch-missionarisches Engagement sie um 1900 mitten in den Armenier-Genozid im spätosmanischen Reich geraten lässt (durch Hanspeter Jecker).

Kurz: Wem die Täufergeschichte nicht Wurst ist, dem sei die Lektüre dieser neuen Ausgabe von Mennonitica Helvetica wärmstens empfohlen. Mit einer Mitgliedschaft im Schweizerischen Verein für Täufergeschichte sichert man/frau sich übrigens jedes Jahr für CHF 30 die Zustellung dieses Jahrbuches. Die Inhalte der bisherigen Nummern sind hier aufgelistet.

Anmeldungen zur Mitgliedschaft im Verein werden gern entgegen genommen unter diesem Link.

(Zum Wurstessen vgl. nun auch den SRF-Beitrag)

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