Zwingli und die Täufer auf Grossleinwand

VON REFORMATIONSJUBILÄEN, GEDENKTAFELN UND EMPÖRTEN STADTVÄTERN

Es war Anfang Juli 1952. Alles war bereit in Zürich für den Besuch der Delegierten der Mennonitischen Weltkonferenz, die in Basel tagte. Der reformierte Zürcher Theologieprofessor Fritz Blanke – dieser «Querdenker mit Herz» (Christoph Möhl in seiner Blanke-Biographie von 2011) – hatte alles aufgegleist für die feierliche Einweihung zweier Gedenktafeln in Zürich, um an die schwierige Geschichte der Täufer in Zürich zu erinnern.

Und da geschah es. Der Zürcher Stadtrat legte in allerletzter Minute sein Veto ein und nahm frühere Zusagen zurück. Offenbar hatte er erst jetzt den genauen Wortlaut der einen Gedenktafel sorgfältig studiert, die an der Limmat platziert werden sollte im Gedenken an den anno 1527 hier ertränkten Täufer Felix Mantz. Und dabei kam der Stadtrat zum Schluss, dass die Inschrift auf inakzeptable Weise den guten Ruf und das Ansehen Ulrich Zwinglis beschmutze. (Eine Gedenktafel kam dann erst 2004 an die Schipfe an der Limmat [Foto unten], vgl. dazu Näheres bei Michael Baumann, Gemeinsames Erbe, Zürich 2007)

67 Jahre später kommt nun ein Film über Zwingli in die Kinos (ab 17.1.2019), der nicht verschweigt, dass der Reformator der Limmatstadt durchaus eine gewisse Mitverantwortung an der Hinrichtung von Mantz trägt. Mehr noch: In der Figur von Zwinglis Frau Anna Reinhart lassen Film-Regie und Drehbuch auf überraschende Weise just diejenige Person zu einer Fürsprecherin für die Täufer werden, die dem Reformator vielleicht am nächsten steht.

Anna Reinhart und Zwingli (Foto: C-Films AG)

Historisch belegen lässt sich diese Position der Anna Reinhart zwar nicht. Aber weil wir über sie aus den Akten fast nichts Genaues wissen, ist es immerhin denkbar, dass sie so gedacht und gehandelt haben könnte. Dieser kleine Kunstgriff eröffnet dem Film einige interessante Perspektiven: An Zwingli können Fragen gestellt werden, die vielleicht so nie gestellt worden sind, oder nur von ganz anderen Personen. Auf jeden Fall tragen sie dazu bei, Zwingli doch noch wesentlich kritischer zu befragen, als sich der Zürcher Stadtrat dies 1952 wohl hätte träumen lassen…

Einzig bei den Texteinblendungen am Schluss des Films unmittelbar vor dem Abspann zum Film mit den m.E. irreführenden Aussagen zur angeblich so „friedlichen“ Fortsetzung der Reformation irrlichtet mir der Geist jener heroisierend-beschönigenden Stadtrats-Mentalität von 1952 wieder befremdlich stark auf. Aber ich will das eigentlich nicht als die Schlussbotschaft des Films verstehen…

So oder so: Wer an Täufergeschichte und deren möglicher Relevanz für die Gegenwart interessiert ist, darf sich diesen Film eigentlich nicht entgehen lassen!

Ausführlichere Anmerkungen zum Film siehe unter https://de.bienenberg.ch/blog/zwinglifilm  sowie https://mennonitica.ch/sola-scriptura-zwischen-fundamentalismus-und-beliebigkeit/ sowie https://mennonitica.ch/sola-scriptura-zwischen-fundamentalismus-und-beliebigkeit/

Hanspeter Jecker

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INTERNATIONALES KOLLOQUIUM 

ERNEUERUNGSBEWEGUNGEN UND

TÄUFERGESCHICHTE

REFORMATIONSJUBILÄEN – RENEWAL – RIGHT REMEMBERING

27. – 29. MÄRZ 2019, BILDUNGSZENTRUM BIENENBERG

THEMA DER TAGUNG
In Kirche und Gesellschaft ist die Frage, wie Transformationsprozesse gelingen können, eine zentrale Herausforderung. Im Kontext der aktuellen Reformationsjubiläen spielt das Thema «Erneuerung» darum eine Schlüsselrolle. Dass auch die Mennonitische Weltkonferenz das bevorstehende 500-Jahr-Jubiläum ihrer eigenen Anfänge in der Täuferbewegung unter das Motto «Renewal» stellt, ist bezeichnend. Und dass die Frage, wie «Richtiges Erinnern» (right remembering) an solche Erneuerungsprozesse aussehen könnte, mittlerweile zu einer Kernfrage in Kirchen-Dialogen geworden ist, bietet für uns als Bildungszentrum Bienenberg Grund genug, um an einem Kolloquium über diese Themen im Umfeld täuferisch-mennonitischer Ge-schichte und Theologie nachzudenken.

Quer durch die Jahrhunderte gab es in der Kirchengeschichte solche Erneuerungsanstösse. Im Reformationszeitalter des 16. Jahrhunderts war die Täufer-Bewegung selbst ein solcher Aufbruch. Es gab diese Erneuerungsanstösse aber auch in Pietismus und Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts, in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, in den pfingstlich-charismatischen Aufbrüchen oder im Religiösen Sozialismus des 20. Jahrhunderts. Und fast immer haben diese Aufbrüche auch täuferische Kirchen und Gruppen tangiert, bisweilen auch durchgeschüttelt.

Manche Erneuerungsanstösse versandeten, andere wurden umgesetzt, einige rascher und umfassend, andere langsamer und nur teilweise oder gar nicht. Diese Umsetzungen wurden von manchen begeistert begrüsst, von anderen vehement bekämpft. Einige sahen und sehen in ihnen hoffnungsvolle geistliche Neuaufbrüche, andere verhängnisvolle Irrwege und schmerzhafte Kirchentrennungen. Manche dieser Erneuerungsprozesse waren oder blieben innerkirchlich, andere hatten gesamtgesellschaftliche Ausstrahlung.

Wir sind überzeugt, dass eine bessere Kenntnis der Dynamik von Erneuerungsimpulsen, Erneuerungsprozessen und Erneuerungsbewegungen, wichtige Einsichten zu liefern vermag für das Ringen in der Gegenwart um gelingende Transformationsprozesse, um optimale Mischungen von Kontinuität und Wandel und von Einheit und Vielfalt, um einen guten Umgang von Mehrheiten und Minderheiten in Kirche und Gesellschaft.


Flyer (PDF)

PROGRAMM

MITTWOCH, 27. MÄRZ 2019

14.00   Tagungseröffnung (Lukas Amstutz/ HanspeterJecker/ Denis Kennel)

Thema I: Täufertum und Reformation im 16. Jahrhundert
14.20   Hans Rudolf LAVATER (CH) : Die Krise von Kappel 1531/32 und die bernischen Täufer

15.10   C. Arnold SNYDER (CAN) : An Anabaptist vision for church reform in late 16th century Switzerland

16.45   Frank MULLER (F) : De nouvelles images de propagande: l’apport des dissidents à Strasbourg et ses prolongements dans les Anciens Pays-Bas (1526 – vers 1550)

Öffentlicher Abendvortrag

20.00   John D. ROTH (USA) : MWC’s «Renewal 2027» . . . and the Challenge of Analytical Clarity in Understanding “Renewal” within the Anabaptist-Mennonite Tradition

DONNERSTAG, 28. MÄRZ 2019

08.50   Johannes REIMER (BRD) : Litauische Brüder – Täufer in Weissrussland zur Zeit der Reformation

Thema II: Täufertum im Zeitalter von Pietismus und Aufklärung

10.10   Karl KOOP (CAN) : An Appeal for Toleration in an Age of Conflict. Peter Pietersz’s ‹Way to the City of Peace›

11.00   Astrid VON SCHLACHTA (BRD) : «Bleiben hangen in der Todesfurcht». Erweckliches Predigen als «Ausweg» oder «Ärgernis»

Thema III: Täufertum und Erweckungsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert

14.30   Alfred NEUFELD (PAR) :  Erweckung oder Kirchenspaltung? Die Entstehung der Mennoniten-Brüdergemeinde 1860

15.20   Johannes DYCK (BRD) : Erneuerung unter Totalitarismus: Fallstudie zum mennonitischen Neuanfang in der Sowjetunion seit dem II. Weltkrieg

17.00   Yennamalla JOYAKER (IND) : Mennonite Brethren Mission in India Then and Now: The Need For Ongoing Renewal

Öffentlicher Abendvortrag

20.00   Hanspeter JECKER (CH): Die Entstehung der Amischen (1693ff.) – Chronologie und Hintergründe des Zerbruchs eines kirchlichen Transformationsprozesses

FREITAG, 29. MÄRZ 2019

Thema IV: Übergreifende Fallstudien

08.50   Markus JOST (CH) : Die Rolle der Bibel bei Erneuerungsbewegungen in der Täufergeschichte

10.10   Knut V.M. WORMSTÄDT (BRD) : «Recht erinnert» Reformation. Gemeinsame Geschichtserzählungen als Ermöglichungs-Raum für eine Kirchengeschichte unter dem «Right Remembering»-Paradigma

11.00   Neal BLOUGH (F) : Le cheminement vers l’œcuménisme: une contribution au renouveau de l’identité mennonite?

11.50   Zum Abschluss : Bilanz und Ausblick (Lukas Amstutz/ HanspeterJecker/ Denis Kennel)

TAGUNGSORT & KONTAKT

Bildungszentrum Bienenberg
Bienenbergstrasse 85a, 4410 Liestal (Schweiz)
+41 61 906 78 11

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GALERIE: Mitgliederversammlung / Assemblée générale 2018


putty download , arial, helvetica, sans-serif;“>Fotos: UK (Ulrich Kipfer) / MBL (Marianne Briner Lavater)

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Mitgliederversammlung / Assemblée générale 2018


SCHWEIZERISCHER VEREIN FÜR TÄUFERGESCHICHTE
SOCIÉTÉ SUISSE D’HISTOIRE MENNONITE

Mitgliederversammlung
Samstag, 8. September 2018 um 9.30 Uhr
Reformiertes Kirchgemeindehaus 4800 Zofingen
Hintere Hauptgasse 19

Die diesjährige Mitgliederversammlung führt uns nach Zofingen. Das schmucke Städtchen und sein hügeliges Umland waren im 16. und 17. Jahrhundert Schauplatz etlicher täufergeschichtlich bedeutsamer Ereignisse. Etwa das Zofinger Täufergespräch von 1532. Fast gleich weit entfernt von den drei einflussreichen reformierten Städten Zürich, Bern und Basel, formierte sich in dieser grenznahen Region im ehemals bernischen Aargau ein täuferischer Kreis, der gleicherweise flüchtigen Glaubensgeschwistern Unterschlupf zu bieten als auch eigenständige Impulse zu setzen vermochte. Unser Besuch in Zofingen wird faszinierende Einblicke in ein nur wenig bekanntes Kapitel schweizerischer Täufer-, Kirchen- und Kulturgeschichte eröffnen. Wir freuen uns sehr, viele von Ihnen in Zofingen begrüssen zu können.

Programm
09:30 Ankunft und Begrüssungskaffee
10:00 – 11.00 Mitgliederversammlung
11:15 – 12:15 Referate
Anlass, Verlauf, Bedeutung des Zofinger Gesprächs 1532 (Hans Rudolf Lavater)
Kurzer Überblick zum späteren Zofinger Täufertum (Hanspeter Jecker)
12:30 – 14.00 Mittagessen im Restaurant «Le Cheval Blanc»

14.15 – 15.15 Besuch und Führung in der Stadtbibliothek
15.30 – 16.30 Stadtführung

Anmeldungen bitte bis 1. September 2018 bei: Eliane Kipfer, Hühnerbach 178,
3550 Langnau / Tel. +41 79 740 79 42, E-Mail: eliane.kipfer@mennonitica.ch.

Einladung (PDF)

Invitation à l’assemblée générale
Samedi, 8 septembre 2018 à 9h30
Centre paroissial réformé à 4800 Zofingen
Hintere Hauptgasse 19

L’assemblée générale de cette année se déroulera à Zofingue. La jolie petite ville et ses environs vallonnés ont été le théâtre de plusieurs événements importants dans l’histoire anabaptiste aux XVIe et XVIIe siècles. Un exemple : les entretiens anabaptistes de Zofingue de 1532. Située presque à égale distance des trois villes réformées influentes de Zurich, Berne et Bâle, cette région frontière de l’ancienne Argovie bernoise a vu se former un cercle anabaptiste qui a pu offrir un refuge à des frères de foi tout aussi éphémères et donner des impulsions indépendantes. Notre visite à Zofingue nous donnera un aperçu fascinant d’un chapitre peu connu de l’histoire anabaptiste suisse, de l’Eglise et de l’histoire culturelle. Nous nous réjouissons beaucoup de pouvoir vous accueillir nombreux dans cette cité argovienne.

Programme

09:30 Arrivée, accueil et café
10:00 – 11.00 Assemblée générale
11:00 – 12:15 Exposés
Cause, déroulement et signification des entretiens de Zofingue de 1532 (Hans Rudolf Lavater)
Bref aperçu de l’anabaptisme ultérieur de Zofingue (Hanspeter Jecker)
12:30 – 14.00 Repas de midi au restaurant Cheval Blanc
14.15 – 15.15 Visite guidée de la bibliothèque

 Prière de vous inscrire jusqu‘au 1er september 2018 auprès de: Eliane Kipfer, Hühnerbach 178, 3550 Langnau / Tel. +41 79 740 79 42 E-mail: eliane.kipfer@mennonitica.ch.

Invitation (PDF)

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MENNONITICA HELVETICA 40 (2017)


INHALTSVERZEICHNIS


Hanspeter Jecker: Zum Geleit 
(3-7)

ABHANDLUNGEN

Hans Rudolf Lavater: Joseph Hauser (1560/65–1616). Ein ehemaliger Berner Pfarrer bei den Hutterern in Mähren (8 – 86)
Die quellenbasierte Studie untersucht die mutmasslichen Gründe für den Übertritt des Berner Theologen Joseph Hauser († 1616) zu den mährischen Hutterern und würdigt erstmals in einer Gesamtschau dessen Leistungen als Kolonisator und Theologe im Dienste der kommunitären Bruderschaft an der schwierigen Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert.

Hanspeter Jecker: Täufertum und Pietismus als Herausforderung für Obrigkeit und Kirche in Bern 1650–1720 (87 – 105)
Täufertum und Pietismus profilierten sich um 1700 als Sammelbecken für Frustrierte und für Suchende. Beide traten im reformierten Bern gleichzeitig auf und wurden von Obrigkeit und Kirche intensiv bekämpft. Beim Pietismus führte diese Auseinandersetzung allmählich zur (teilweisen) Integration ins kirchliche Leben. Das bernische Täufertum hingegen erlitt in der Heimat eine massive Schwächung, erlebte in Asylregionen aber neue Aufschwünge. Oft bildete es hier sogar einen wichtigen Faktor im regionalen Wirtschaftsleben. Das Image von Rebellen und Ketzern wich allmählich dem Ruf von vorbildhaften «Stillen im Lande». Seitens der Obrigkeit bestanden die längerfristigen Auswirkungen der Auseinandersetzungen in umfassenderen Formen der Sozialdisziplinierung und Herrschaftsdurchdringung. Darüber hinaus führte die Repression aber auch zu neuem Fragen nach Glaubens- und Gewissensfreiheit und nach alternativen Formen des Umgangs von Mehrheiten mit Minderheiten.

Ulrich J. Gerber: «Mit Wenigem viel in Bewegung setzen». Das künstlerische Erwachen bei den Schweizer Mennoniten seit den 1960er Jahren, mit autobiographischen Kommentaren des Autors (106 – 146)
Es wird erstmals die musikalische und gestalterische Eruption der Loosli-Geiser Familie von La Chaux-d’Abel mit Theo (Chorgemeinschaft der Mennoniten und Berner Bach-Chor), Arthur, Walter und Ernst Loosli dargestellt, die Vielzahl von Dirigierenden und Musizierenden mit täuferischen Wurzeln. Die Singfreudigkeit in den Mennonitengemeinden der Schweiz mit den vielen Gemischten Chören und Männerchören, sowie musikalische Persönlichkeiten mit täuferischen Wurzeln im Laufe der Jahrhunderte (Ludwig Hätzer, Margrethli Zimmermann, Bendicht Brechbühl, Jean-David Pantillon und Abraham Lerch) bezeugen, dass in der kleinen Freikirche die Muse der Musik und des Gestaltens einen besonders guten Nährboden hat.

MISZELLEN

Denis Kennel: Une conception plus « optimiste » de la nature humaine? Ou : Comment les anabaptistes ont-ils vu l’être humain et sa réponse au salut proposé en Jésus-Christ? (147 – 152)

Hans Rudolf Lavater: Täuferisches im Bullinger-Briefwechsel Band 18 (153 – 160)

BUCHANZEIGEN
(168 – 178)

VEREIN
Jahresbericht 2016/17 (179 – 180)
Vorstandsmitglieder 2017 (181)

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Eröffnung des täufergeschichtlichen Stationenweges in Bern

Bald ist es so weit: Am 24. August 2018 wird die Eröffnung des täufergeschichtlichen Stationenweges in der Stadt Bern mit einer Feier im Berner Münster vollzogen (18.45 Uhr).

Der Stationenweg ist ein gemeinsames Projekt der Mennonitengemeinde Bern und der reformierten Kirchgemeinde Münster. Nach dem Prinzip der in manchen Städten vorhandenen „Foxtrails“ versucht der Stationenweg auf spielerische Weise, in die Geschichte der Täufer in Bern einzutauchen und über aktuelle Gegenwartsfragen (Umgang mit Minderheiten, Migration, Gewalt etc.) nachzudenken.

Im Zentrum des Berner Stationenweges steht «Jacob Baltzli», eine zwar durchaus frei erfundene täuferische Figur, deren Leben aber ganz und gar nicht zufällig grosse Ähnlichkeiten mit Begebenheiten aufweist, die sich tatsächlich in Bern abgespielt haben…

Die Baltzlis waren ein täuferischer Familienverband, der jahrzehntelang auf dem Gut Riselried bzw. Wysshus oberhalb von Habstetten in der Kirchgemeinde Bolligen bei Bern gewohnt hat.

Blick über den Weiler Wysshus hinweg nach Habstetten und Bolligen

Die täuferischen Mitglieder der Familie haben sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts teils vorübergehend, teils definitiv durch Flucht ins Ausland abgesetzt, meist ins Elsass.

Ein Mitglied der Familie – Niklaus Baltzli – gehörte allerdings zusammen mit Durs Rohrer, einem anderen Täufer aus der Kirchgemeinde Bolligen, zu denjenigen über 50 Berner Täuferinnen und Täufern, die nicht geflüchtet, sondern im März 1710 auf obrigkeitlichen Befehl auf Schiffe verfrachtet und rheinabwärts deportiert wurden…

Liste der 1710 deportierten Berner Täufer: Durs Rohrer und Niklaus Baltzli tragen die Nummern 35 und 36 (Schenk-Chronik, Gemeindearchiv Röthenbach)

Nachkommen der ins Elsass geflüchteten Berner Täuferfamilie Baltzli sind noch heute in Frankreich und in Nordamerika nachweisbar, meist unter dem Namen «Pelsy»(F) bzw. Belsley (USA)! Balzlis sind aber auch ein bis in die Gegenwart weiterhin in Habstetten und auf dem Wysshus vorhandener Name! Details zu den täuferischen Baltzlis hier.

Die Fachstelle für täuferische Geschichte und Theologie (Bienenberg / Liestal) sowie der Schweizerische Verein für Täufergeschichte haben bei der Ausgestaltung des Stationenweges im Rahmen der historischen Beratung mitgewirkt.

Nähere Informationen zum Stationenweg unter https://stationenweg-bern.ch/

Hanspeter Jecker

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Was Meiringen, das Oberhasli und der Ballenberg mit Täufergeschichte zu tun haben

Gewiss: Die Landschaft Oberhasli im Berner Oberland zählt nicht zu den täufergeschichtlich bedeutsamen Regionen der Schweiz. Aber so richtig dies etwa im Vergleich mit dem Emmental oder dem Grossraum Thun auch sein mag – es geht darob doch etwas vergessen, dass auch hier das Täufertum seine Spuren hinterlassen hat.

Das Oberhasli ist vor allem bekannt durch seine grandiosen Berglandschaften: Hier der Blick vom Sidelhorn auf den Oberaargletscher im Grimselgebiet (Foto HPJ)

So sind bereits in den 1530er und 1540er Jahren aus manchen Dörfern am Brienzersee (v.a. aus Brienz und Oberried) – und damit der unmittelbaren Nachbarschaft des Oberhasli – etliche Täuferinnen und Täufer nachweisbar (vgl. dazu die Belege in Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz Bd.3).

Besonders eindrücklich ist die Geschichte des Hans Stäli (Stähly) und seiner Familie aus Brienzwiler, dessen täuferische Überzeugungen ihn nach einigen Gefangenschaften zur Flucht zwingen und ihn zuerst ins Baselbiet und später möglicherweise bis nach Niederösterreich führen. In einem Verhör sagt er 1552 aus, dass die Begegnung mit einem Täuferlehrer namens Hans Lüthi aus dem Eggiwil bei seiner Wendung zum Täufertum eine wichtige Rolle gespielt habe. Dieser habe ihn eingeladen, an einer täuferischen Predigt auf dem Ballenberg bei Brienz teilzunehmen (vgl. StABE B IX 423, 89v ff., zum Berner Täufertum vgl. diesen Link). Auf dem Ballenberg habe er dann einen Täufer predigen hören – genau das, was die eigenen Prädicanten auch sagen. Nur habe er den Eindruck erhalten, dass die Täufer dies alles nicht nur lehren, sondern es auch tun:

„Welches im nit übel gfallen, dann inn bedüchte, sy fuortint ein erbar wäsen mit abstellung der lastern etc.“

Der Ballenberg ist heute bekanntlich ein beliebtes Freilichtmuseum, wo mehr als 100 originale, jahrhundertealte Gebäude aus allen Landesteilen der Schweiz zu besichtigen sind. Und interessanterweise stammt eines dieser Gebäude just aus dem besagten Eggiwil – es ist der Hof «Untere Grosstanne», welcher zufällig ebenfalls Berührungspunkte zum lokalen Täufertum aufweist: 1654 wird ein „Gross-Tannen-Michel“ als Täufer aktenkundig, weil er seit Jahren keine reformierten Gottesdienste besucht hat… (StABE, B III 563, Nr 135).

Der ursprünglich im Eggiwil gestandene Hof „Untere Grosstanne“, der sich nun im Freilichtmuseum Ballenberg befindet. (Foto HPJ)

 

(Als ich im Täuferjahr 2007 die Leitung des Ballenberges auf diese Berührungspunkte zum Täufertum hinwies, zeigte man damals leider kein Interesse, diese Bezüge zu thematisieren und auf ein interessantes Stück Schweizergeschichte hinzuweisen…)

An dieser Stelle sei auf einen täufergeschichtlichen Bezug nach Meiringen hingewiesen, dem Hauptort des Oberhasli. In der Kirche von Meiringen wirkte von 1569 bis 1575 Pfarrer Joseph Hauser. Hier im Pfarrhaus lebte er mit seiner Familie und hier wuchs auch sein gleichnamiger Sohn auf.

Kirche von Meiringen – bis 1709 einziges reformiertes Gotteshaus der Pfarrei Oberhasli puttygen download windows , welche bis dahin die Gemeinden Meiringen, Schattenhalb, Hasliberg, Innertkirchen, Guttannen und Gadmen umfasste (Foto HPJ).

In den Fusstapfen seines Vaters studierte Joseph Hauser junior später Theologie, wurde seinerseits Pfarrer und ab 1588 Lateinschulmeister in Zofingen. Dann, um die Jahreswende 1589/90 erfolgte die überraschende Hinwendung Hausers zum Täufertum und seine unvermittelte Abreise nach Mähren zu den Hutterern.

In der unlängst erschienenen jüngsten Ausgabe von MENNONITICA HELVETICA 40 (2017) untersucht Hans Rudolf Lavater die mutmasslichen Gründe für diesen Gesinnungswandel. Dabei würdigt er erstmals in einer Gesamtschau dessen eindrückliche Leistungen als Kolonisator und Theologe im Dienste der kommunitären Gemeinschaft der hutterischen Täufer. Nicht nur für Oberhasli-Fans eine sehr empfehlenswerte Lektüre!

Und à propos Zofingen: Genau in diesem Aargauer Städtchen findet am 8. September 2018 – auf den Spuren Hausers – die diesjährige Mitgliederversammlung des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte statt! Termin bitte vormerken!

PS. Zu Brienz und dem Ballenberg vgl. nun auch dies.

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Geburdsbuch der Gemeinde bey Basel

Keine heute noch existierende täuferisch-mennonitische Gemeinde in der Schweiz verfügt unseres Wissens über derart weit zurückgehende eigene Quellenbestände wie die Holee-Gemeinde in Basel.

Besonders bedeutsam ist dabei das „Geburdsbuch“ mit Einträgen zu Ereignissen, die bis ins Jahr 1777 zurückreichen. Teils sind darin auch Ehedaten der jeweils genannten Eltern vermerkt. Da es sich dabei oft um Informationen handelt, die in keinen anderen obrigkeitlichen oder volkskirchlichen Dokumenten verzeichnet sind, stellen diese Art von Archivalien oft auch familiengeschichichtliche Kostbarkeiten dar.

Die Dokumentationsstelle des Schweizerischen Vereins auf dem Bienenberg verfügt zwar nicht über das Original, aber über Kopien und Transkriptionen dieses Dokuments (wie auch anderer vergleichbarer Quellen aus schweizerischen und v.a. elsässischen Täufergemeinden). Für genealogisch Interessierte stellt diese Art von Archivalie immer wieder eine willkommene Fundgrube dar.

 

Beispielsweise gelang es in den letzten Tagen, nordamerikanischen Forschern mit einem Auszug aus dem Holee-Geburtsregister einen wichtigen Hinweis zu geben und eine entscheidende Forschungslücke in ihren Untersuchungen zu schliessen. Die oben abgebildete Seite nennt die Kinder einer Familie Jacob Bürgi [Bürki] und Katharina Uhli (Ulrich) aus „Niederdiessbach“ in der Kirchgemeinde Ober-Diessbach bei Thun (Bern). Das Paar hatte sich „kubalieren lasen zu Mömbegat den 21 Wintermo. 1780″* und war laut Dokument später bei „Baselaugst“ wohnhaft. Einzelne Nachkommen waren später nach Kanada ausgewandert.

* kubalieren = verheiraten; Mömbegat = Mömpelgart = Montbéliard; Wintermonat = November

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Berner Kantonsregierung bittet die Täufer um Verzeihung

«Der bernische Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektor Christoph Neuhaus hat an Berns ‹Nacht der Religionen› im Namen des Kantons Bern bei den Täufern für Verzeihung gebeten. Er tat dies für die staatlichen Verfolgungen und Vertreibungen, unter denen die Täufer in der Vergangenheit zu leiden hatten.»

bernerzeitung.ch

«Wie könnten Sie und ich leben, wenn es die Bitte um Vergebung nicht gäbe?» fragte Christoph Neuhaus. Wie es uns das Unser Vater lehrt «bitte ich Sie – als Berner Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektor, aber auch als Mensch – in aller Schlichtheit heute Abend um Verzeihung für all das, was den Täuferinnen und Täufern in unserem Kanton zu Leide getan wurde. Kein Mensch kann rückgängig machen, was einmal getan wurde. Aber wir können sehen, was gewesen ist. Es aufnehmen anstatt zu verdrängen. Es als unsere gemeinsame Geschichte anerkennen, anstatt von uns abzuspalten.»

PuTTY , helvetica, sans-serif;“>Pressemitteilung •

 

 

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Die «Wiedertäufer»käfige von St.Lamberti in Münster


(Foto H. R. Lavater 26.09.2015)
Erhellendes zum Thema Erinnerungskultur der Strafgerichtsbarkeit bei http://archivalia.hypotheses.org/68170(Klaus Graf) •

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