„Dann er den Worten kein Kraft, sondern alle Würkung dem lieben Gott zuschreibe“
Nachdem bereits in meinem Blog-Beitrag vom 3. Mai 2013 über „Täuferärzte“ berichtet worden ist, sei hier ein weiteres Beispiel angefügt.
In einem alten Handschriftenband der Universitätsbibliothek Basel mit der Signatur VB Mscr F 72 befindet sich als Nr. 3 an unerwarteter Stelle eine Notiz über den Täuferarzt Jakob Zehnder von Waltenstein, von dem wir sonst bisher nur aus Zürcher Akten Kenntnis hatten.
Der Zürcher Landvogteisitz Schloss Kyburg nach einem Stich von David Herrliberger um 1740
Unter der Datumsangabe „Actum Dienstags den 9. Christmonat Anno 1634“ lesen wir, dass sich der Zürcher Landvogt Gerold Grebel von Kyburg (südlich von Winterthur) hat informieren lassen über Bücher, Praktiken und Arzneien des Täuferarzts Jakob Zehnder von Waltenstein bei Schlatt. Dabei habe ein Hans Jakob Wirtz aus dem Dorf Schlatt gesagt,
„er habe Ine Zechender zu underschidenlichen mahlen gsechen, gar böse schäden verbinden, habe aber nützit anders darzu dann gebürliche natürliche Mittel gebrucht, und die Batienten allwegen ernstlich ermannet, sy söllind den lieben Gott inbrünstig anrüffen und bitten, er welle syn gedeyen zu der Artzney geben, damit dieselbige operiren, und sy zu voriger gesundheit khomen mögint, dann one Gottes Seegen die üsserlichen Mittel umb sontst und vergebendts seigendt;
Demnach habend sy syne getruckten und geschribnen Bücher, Krüter, wurtzen, Öhl, etc. visitirt, derselben ein grosse anzahl, aber weder sägen, Crucifix, Caracteres noch andere derglychen aberglöübige sachen gefunden und habe er hoch bethürt, dass er allem seegnen, lachsnen*, zauberen etc. als in Gottes Wort hochverbottnen sachen jederzyth von Hertzen fyend gewesen, und noch seige, er habe zwahren imm bruch, das er alle syne artzneyen im nammen Gottes des Vatters, Sohns und heiligen Geistes zebruchen gebe; so er darmit verfehle oder Abgötterey begange, seyge es by Imme ein unwüssende Sünd, dann er den Worten kein kraft, sonder alle würkung dem lieben gott zuschreibe. Bitte mann solle an ohrten in Üwer Gnaden handen, zu St. Gallen, in Niderlanden etc. da er Mittel schike, uff synen costen Nachfrag halten, ob er mit verbottnen künsten umbgange, werde sich nütt derglychen befinden, so aber Ü. Gnaden Imme bevehlind der artzney gar müssig zustahn, welle er sich derselben gern endtschlagen.“
Der Bericht von Landvogt Grebel ist ein weiterer Beleg für die erstaunlich häufige Präsenz von „Täuferärzten“ in der Frühen Neuzeit. Er zeigt, wie die gut neutestamentliche Praxis des „Predigens und Heilens“ hier eine Fortsetzung gefunden hat.
Szene aus der Stadt Zürich im Jahr 1637: Eine Täuferin wird vor ihren Kindern inhaftiert und abgeführt (Stich von Jan Luyken aus dem Märtyrer-Spiegel)
Es zeigt aber auch, wie täuferische Präsenz weiterhin von den schweizerischen Obrigkeiten drangsaliert wurde – auch wenn dieses täuferische „Der Stadt Bestes Suchen“ (Jer 29) offenbar weit über die unmittelbare Umgebung hinaus eine positive Resonanz bei Zeitgenossen in Nah und Fern genossen hat.
*Hexen- und Zauberkünste treiben; durch abergläubische Mittel (z.B. Beschwörungen) Krankheiten bei Mensch und Tier zu heilen oder verborgene Schätze zu heben versuchen. Vgl. dazu Schweizerisches Idiotikon lāchsneⁿ 3,1044
Auch „Segnen“ nahm bisweilen die Bedeutung einer zauberei-artigen Handlung an (vgl. Idiotikon sëgneⁿ 7,456) und „Segen“ konnte auch „Zaubermittel“ bedeuten.
In der frühen Neuzeit war „Lachsnen und Segen“ eine geradezu feste Redewendung!