«Die Mennoniten sind eine ultrakonservative christliche Gemeinschaft, ähnlich wie die Amish. Sie wehren sich gegen die Einflüsse der modernen Gesellschaft und führen ein Leben wie im 19. Jahrhundert. DOK gewährt einen seltenen Einblick in diese verschlossene Gesellschaft.» (Bild und Originalzitat stammen vom Medienportal des Schweizer Fernsehens SRF, beides wurde von zahlreichen Pressestellen und Medien in ihren TV-Programmhinweisen unverändert übernommen)
Mit grosser Regelmässigkeit tauchen alle Jahre wieder in unseren Medien dokumentarische Berichte auf über konservative mennonitische Gruppen nicht nur, aber vor allem aus Lateinamerika. Um es etwas unverblümt zu sagen: Anstatt Königspinguine auf den subantarktischen Prinz-Edward-Inseln oder Riesenschildkröten auf Galapagos wird hier von Ethno-Paparazzis Jagd auf konservative mennonitische Randgruppen wie die Sommerfelder oder die Altkolonier in Mexiko, Bolivien oder Belize gemacht. Die journalistische Ausbeute wird dann in Hochglanz-Magazinen oder TV-Dokus einem breiteren Publikum vorgelegt.
Was dabei immer wieder für Irritation bis Verärgerung bei mir sorgt, sind meist zweierlei Aspekte.
Zum einen ist es die oft undifferenzierte Darstellung, die glauben lässt, ALLE oder wenigstens die meisten Mitglieder täuferisch-mennonitischer Kirchen seien, leben und glauben so oder ähnlich wie die portraitierte Randgruppe (vgl. die Anmerkung unten). Kein Journalist kann es sich heute leisten, eine radikal-islamistische IS-Splittergruppe zu portraitieren und darüber die Überschrift „Was Muslime glauben“ zu setzen. Warum kann die gleiche differenzierende Sorgfalt nicht auch bei vergleichsweise kleinen Bewegungen wie „DEN Mennoniten“ zum Tragen kommen?
Zum andern ist es das oft ausgeprägte Bestreben der AutorInnen dieser Dokumentationen, vor allem das Exotisch-Schräge, Hinterwäldlerisch-Enge und Skurril-Bornierte zu betonen, das diese Gruppen ihrer Ansicht nach auszeichnet. Dieser Fokus ist zwar einigermassen nachvollziehbar. Leider wird dann allerdings oft kaum je historisch aufgearbeitet, warum und wie es zu diesen teils eindrücklichen, teils ja aber durchaus auch frag-würdigen Entwicklungen überhaupt gekommen ist. Gezeigt werden dann allenfalls die bei diesen Gemeinschaften im Gefolge von Isolation und Abschottung oft auch prompt auftauchenden Zwänge und rigiden Sozialkontrollen, bis hin zu vielfältigen Formen von Missbrauch. Aber was das mit Weichenstellungen rund um Identität und Solidarität, Anonymität und Zugehörigkeit, Beliebigkeit und Gruppendruck zu tun haben könnte, mit denen Menschen nicht nur im hintersten Belize, sondern hier und jetzt auch bei uns täglich konfrontiert sind, das rückt selten ins Blickfeld.
Bisweilen gelingt es zwar, diese beiden Klippen einigermassen zu umschiffen. Als Beispiele dafür könnten gelten zum einen der Spielfilm «Stellet Licht» von Carlos Reygadas (2007) aus dem südamerikanischen Kontext, oder etwa auch Peter von Guntens «Im Leben und über das Leben hinaus» (2005) über Mennoniten im schweizerischen Jura und deren in die USA geflüchtete und ausgewanderte Glaubensververwandte.
Aber leider ist die Zahl der Gegenbeispiele erheblich grösser. Und auch der DOK-Film von SRF „Die Mennoniten – Fremde unter uns“ reiht sich da meines Erachtens mit seinen Pauschalisierungen über DIE (!) Mennoniten leider einigermassen nahtlos ein…
Als Schweizerischer Verein für Täufergeschichte zählt die Erforschung der auf das russlanddeutsche Täufertum zurückgehenden Gruppen der Altkolonier nicht zum Kerngeschäft. Aber da die meisten Zivilgesellschaften und Kirchen stets ihre konservativen Flügel mit ihren teils sehr eigenwilligen Sonderentwicklungen haben, ist das Thema natürlich auch für die Geschichte des schweizerischen Täufertums nicht fremd (vgl. z.B. die Geschichte der Amischen!). Nur: „Ultrakonservative“ Tendenzen sind für überhaupt keine Form von Gesellschaft und menschlichem Zusammenleben fremd. Eine kritische Aufarbeitung des Spannungsfeldes von Kontinuität und Wandel ist darum auch im Hinblick auf aktuelle lokale und globale Transformationsprozesse alles andere als überflüssig.
Schade einfach, wenn Chancen zu solch einer historisch nuancierten, kritischen, aber fairen Aufarbeitung von Themen, die uns alle etwas angehen, nicht genutzt werden. Selbst aus einem Portrait über «ultrakonservative Gemeinschaften» wie die Altkolonier in Belize könnte dann ein Nachdenkprozess angeregt werden, der etwas mit unserer eigenen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Gegenwart zu tun hat – und über bloss überheblich-distanzierten Voyeurismus hinausgeht.
Und wem nach dem SRF-DOK an einem differenzierteren Überblick über die Vielfalt täuferisch-mennonitischer Kirchen gelegen ist, der/die darf sich gern mit den nachfolgenden Lesehinweisen schlau machen.
*Näheres zu den Altkoloniern hier. Zur Einordnung von Altkoloniern und Sommerfeldern in die gesamte Geschichte der täuferisch-mennonitischen Bewegung vgl. dies hier. Zur neueren Geschichte täuferisch-mennonitischer Kirchen vgl. den weltweiten Überblick in der Reihe der Global Mennonite History Series, teils auch in deutscher Übersetzung. Zur Mennonitischen Weltkonferenz, der die portraitierten Altkolonier-Gruppen allesamt nicht angehören, vgl. hier.
Nachtrag: Das ORF 2 zeigt am 20. April 2021 um 22.35 Uhr unter dem neuen Titel „Die Amish aus dem Dschungel – Warum die Mennoniten in den Regenwald ziehen“ denselben Film von Mélanie van der Ende ebenfalls. Es wird sich zeigen, inwiefern die angekündigte „ORF-Bearbeitung“ der Dokumentation einige Akzente neu zu setzen vermochte, zumal in der redaktionellen Rahmung des Beitrags.