Heute vor 300 Jahren, am 5. Juli 1714 schrieb Johann Heinrich Otth (1651-1719), Pfarrer von Gross-Höchstetten, einen umfangreichen Brief nach Bern. Darin gab er einen ausführlichen Bericht über den Zustand seiner Kirchgemeinde, namentlich auch über die aktuelle Lage bei der Bekämpfung des Täufertums. Diesen Bericht hatte die Regierung in Bern angefordert.
Gross-Höchstetten war eine der bernischen Kirchgemeinden mit einem jahrzehntelang sehr hohen Anteil an Täuferinnen und Täufern. So kommen von hier beispielsweise grosse Teile der täuferisch-mennonitischen Familien Schnegg, Studer und Luginbühl, ferner die v.a. in Nordamerika zahlreichen Derstines (ursprünglich Thierstein) und Gehmans (ursprünglich Gäumann). Aber auch die aus Langenthal stammenden und täuferisch gewordenen Geiser fanden hier vorübergehend einen Unterschlupf, bevor sie sich in den Jura absetzten. Und auf dem Gebiet der Kirchgemeinde Gross-Höchstetten war es auch, wo es 1693 auf dem Weiler Friedersmatt bei Bowil zum grossen innertäuferischen Crash und zur Entstehung der Amischen kam.
Am 24. Mai 1714 hatte die Berner Obrigkeit ein neues Mandat gegen die Täufer erlassen. Etliche der zuvor aus dem Land geflüchteten, ausgewiesenen oder ausgeschafften Täuferinnen und Täufer waren nämlich infolge von Kriegswirren an ihren Asylorten wieder in ihre bernische Heimat zurückgekehrt. Andere hatten trotz angedrohter Strafen das Bernbiet nie verlassen. (Zum Grossen Berner Täufer-Exodus von 1711 vgl. MH 36!) Darum wollte die Obrigkeit nun mit einer Verschärfung der Massnahmen einen weiteren Anlauf zur Eliminierung dieser „Landplage“ lancieren. Dazu gehörte, dass man erstmals seit manchen Jahren wieder einige Täufer zur Galeerenstrafe verurteilte: Die meisten kamen prompt nicht mehr lebend zurück…
In dieser Situation verfasste Pfarrer Otth seinen Bericht. Interessant ist dabei unter anderem, was er seiner Obrigkeit empfahl als Massnahme gegen die Täufer. Einer seiner Vorschläge ist besonders aufschlussreich. Er rief seine Vorgesetzten zur Durchführung von Hausbibelkreisen auf, bei denen der Pfarrer auf pastoral-seelsorgerlich sehr viel intimere und persönlichere Weise den Kontakt zu seinen Kirchenmitgliedern pflegen könne. Auf dem unten abgebildeten Abschnitt seines Schreibens formuliert er: „Man braucht auch allerhand mittel, die leüthe zu trösten und zu unterweisen, man ruffet Nachbarschafften in ein Hauß, sonderlich WintersZeit, und unterweiset sie, welche gattung zu lehren dem Volk angenehm, weil es teüfferlet.“
Offenbar hatten die Täuferinnen und Täufer einen Weg gefunden, biblische Inhalte auf eine Art zu kommunizieren, die Lebenshilfe verständlich und einleuchtend werden liess und darum „dem Volk angenehm“ war. Und der reformierte Pfarrer schien durchaus nicht abgeneigt, von seinen Gegnern das eine oder andere zu lernen – und sei’s nur im Hinblick auf ein „Theologisieren im Täuferpelz“: Der Zweck heiligte eben auch hier die Mittel…