Auf meinem Weg zur Arbeit fahre oder gehe ich (fast) täglich an der reformierten Kirche von Frenkendorf vorbei.
Hin und wieder, und in den letzten Tagen wieder etwas häufiger, muss ich dabei an Andreas Boni (1673-1741) denken. In dieser Kirche hatte der Frenkendörfer Weber seine ersten Debatten mit dem lokalen Pfarrer, als er nach einem längeren Aufenthalt bei Heidelberg 1705 in seine Heimat zurückkehrte. Nun war er aber nicht mehr der an religiösen Fragen gleichgültige Kirchgänger von früher. Im Ausland kam er in Kontakt mit radikal-pietistischen und täuferischen Kreisen, fand zum Glauben und protestierte nun in seinem eigenen Dorf gegen den Zwang in religiösen Fragen, er wandte sich gegen den engen Filz von Obrigkeit und Kirche und er verweigerte den Waffen- und Kriegsdienst. Prompt wurde er schon bald inhaftiert.
In einem Protokoll aus seinem Verhör von Juni 1705 wird er gefragt,
„Warum er sich weigere, das Gewehr zu tragen und auf oberkeitlichen Befehl sich bey dem gewohnlichen Exercieren einzufinden? Ist seine Antwort, er erkenne die Obrigkeit und dero Gewalt, sey auch bereit, ihro in allen Stucken zu gehorchen, sofern sie ihm nicht aufflege, solche Waffen zu tragen, die den Christen nicht geziemen, alss welche vielmehr leyden sollen, dann andere umbbringen. Die Waffen unserer Ritterschafft seyen geistlich, die Raach seye Gottes.“
Nach wiederholten Gefängnisaufenthalten wendet sich Boni später definitiv ins Ausland. Im deutschen Schwarzenau schliesst er sich einer Gruppe von „Radikalen Pietisten“ an und gründet mit ihnen 1708 die sogenannten „Schwarzenauer Täufer“. Diese heute als Church of the Brethren bekannte Kirche zählt neben Mennoniten und Quäkern zu den Historischen Friedenskirchen.
Auch die Brethren setzen sich heute weltweit für Versöhnung, Friede und Gerechtigkeit ein. Besonders herausgefordert ist ihr Zeugnis gegenwärtig in Nigeria, wo sie in zahlreichen Regionen recht zahlreich geworden sind. Angesichts des blutigen Terrors von Gruppen wie Boko Haram ist der Aufruf von Andreas Boni von 1705, dem Mitbegründer dieser Kirche, zu einer ganz realen und kostspieligen Herausforderung geworden:
„Christen gezieme es nicht, Gewehr und Waffen zu ergreifen – Christen sollen vielmehr leiden, als andere umzubringen.“
Seit April 2014 befinden sich mehr als 200 Schülerinnen in der Gewalt von Boko Haram. Die Medien haben darüber berichtet. Nur die wenigsten wissen aber, dass ein grosser Teil der Mädchen und jungen Frauen aus der Church of the Brethren (Ekklesiyar Yan’uwa a Nigeria – EYN) stammt: Jener Kirche also, die im Vertrauen auf das Bibelwort in Römer 12 und im Gefolge von Andreas Boni und vielen anderen Täuferinnen und Täufern nicht Böses mit Bösem vergelten will, sondern auf die überwindende Kraft des Guten vertraut.
Laut einem Bericht von Ende September 2014 sind mittleweile bereits über 3000 Mitglieder der EYN durch den Terror von Boko Haram ums Leben gekommen, zahlreiche Kirchengebäude sind zerstört, und ein Ende von Mord und Terror scheint nicht absehbar. (Update vom 5. November 2014 hier)
Gleichwohl will die Kirche an ihrem Zeugnis festhalten, wonach Christus seine Gemeinde zu Vergebung, Hingabe und Leiden aufgerufen habe, und nicht zum Hassen, Zurückschlagen und Töten. Dass dieser von Täuferinnen und Täufern quer durch die Jahrhunderte immer wieder gewählte Weg alles andere als einfach ist, macht der Vorsitzende der EYN mit seinen abschliessenden Worten deutlich:
„Fahrt fort mit Beten, damit Gott unseren Glauben stärken und und uns die Kraft geben kann, das Leiden zu tragen.“
In den Statuten des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte steht im Zweckartikel der Satz, wonach der Verein „Grundlagen erarbeitet, um möglichst breitgefasste Impulse aus täuferischer Geschichte und Theologie für die Gegenwart in Kirche und Welt fruchtbar zu machen.“
Ich denke daran, wie im Jahr 1714 – vor genau 300 Jahren! – der Frenkendörfer Andreas Boni nach Turin in Italien gereist ist, um sich im Namen seiner Gemeinden und in Absprache mit den niederländischen Mennoniten für Hafterleichterung und Befreiung von täuferischen Galeerenhäftlingen aus dem Bernbiet einzusetzen.
Und ich frage mich, wie wohl „mein Turin“ aussieht angesichts von Täufergeschichte, gekidnappten Schulmädchen und dem Terror von Boko Haram.
Hanspeter Jecker