Schweizer Auswanderung nach Nordamerika (Mitte 19. Jh.)

«Ich wet gern», schrieb der Vogt zu Grüningen Jörg Berger, am 31. Dezember 1525 an den Rat von Zürich, dass «mine töfer» (deren er wahrlich genug hatte) «bin einandren by den unglöubigen enert dem mer werind, untz [bis] sy gnuog toftind.» (Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz 1:153).

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Der Wunsch des umtriebigen Landvogts sollte sich erst 200 Jahre später erfüllen: 1683 fanden einige Quäker und Mennoniten aus Krefeld den Weg in die ‹neue Welt› und liessen sich in Germantown, das im 18. Jahrhundert zum Brückenkopf für weitere Abwanderungen nach Pennsylvanien aus der Pfalz und der Schweiz werden sollte.

Dabei gerät gerne in Vergessenheit, « dass die Wanderungsbilanz für das Gebiet der heutigen Schweiz von der 2. Hälfte des 16. Jh. bis zum Ende des 19. Jh. stets negativ war. […] Allein im Elsass und in der Freigrafschaft Burgund wanderten zwischen 1660 und 1740 schätzungsweise 15’000-20’000 Personen aus der Schweiz zu; hinzu kommt eine grosse Zahl von in andere Reichsgebiete (Pfalz, Württemberg, Bayern, Brandenburg) Abgewanderten. An dieser Auswanderung, die sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckte, nahmen Einzelpersonen wie auch Familien teil. Es handelte sich vornehmlich um einfache Leute, häufig Landhandwerker und Bauern, die grösstenteils aus dem Aargau, Bern, Luzern und Zürich stammten und sich häufig am neuen Siedlungsort nach Religion oder Herkunftsort zusammenschlossen. Im 18. Jh. führte die Siedlungsauswanderung nach verschiedenen Zielen, vor allem nach Mittel- und Osteuropa sowie in die britischen Kolonien Amerikas.
Mit dem wirtschaftl. Aufschwung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Auswanderung nach Übersee – vor allem nach Nordamerika (am Ende des 19. Jahrhunderts Ziel von fast 90% der Emigranten), Südamerika, in geringerem Masse auch auf andere Kontinente – neue Dimensionen an, wozu auch die Entwicklung der Transportmittel und die Aktivität der Auswanderungsagenturen beitrugen. 1851-60 wanderten rund 50’000 Personen nach Übersee aus, in den 1860er und 70er Jahren je 35’000 und 1881-90 über 90’000.» (Historisches Lexikon der Schweiz, Art. ‹Auswanderung›)

Soeben erschienene Digitalisate der Aargauischen Kantonsbibibliothek  wie die «Neue Allgemeine Schweizerische Auswanderungszeitung», «Neues Schweizerisches Auswanderungsblatt», «Der Colonist» und «Der Schweizerische Auswanderer», beschwören den schweizerischen Migrationsgeist um die Mitte des 19. Jahrhunderts herauf und bieten auch den Täuferforschenden wertvolle Hinweise über Reisekonditionen, Landeskunde und Alltägliches «enert dem meer»:

auswanderer_06Neue Allgemeine Schweizerische Auswanderungszeitung

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Neues Schweizerisches Auswanderungsblatt

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Der Colonist

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Der Schweizerische Auswanderer

Besonders lesenswert ist die Broschüre «Tagebuch und Reisenotizen» von 1845 des Bürstenbinders und Sozialutopisten Andreas Dietsch (1807–1845):

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Tagebuch und Reisenotizen der Auswanderer-Gesellschaft zur Gründung von Neu-Helvetia •

Über Hans Rudolf Lavater

* 1946 / Dr. theol. h.c. Universität Bern / Hauptforschungsgebiet: Frühe Neuzeit (Reformation und Täufertum) / Webseite: hr-lavater.ch
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