Pierre Kennel (1886 – 1949), die Täufer und der Erste Weltkrieg

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Man hätte vermuten können, dass täuferisch-mennonitische Kirchen aufgrund ihrer langen Geschichte des Friedenszeugnisses und des Gewaltverzichts eine wichtige Rolle gespielt haben bei den paar wenigen zeitgenössischen Versuchen, den drohenden Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verhindern. Doch dem war leider nicht so. (Zur Geschichte der Hintergründe vgl. den soeben erschienenen Band „Glaube und Tradition in der Bewährungsprobe“ sowie den Beitrag zum Ersten Weltkrieg im Mennonitischen Lexikon).

Umso eindrücklicher sind einzelne Beispiele von Ausnahmen. Eine solche Ausnahme ist der französische Mennonit Pierre Kennel. Er wurde geboren am 13. Oktober 1886 in Grand-Charmont als Sohn von Pierre Kennel sen.  und Catherine Richard. Das Studium in Biologie und Naturwissenschaften in Besançon schloss er 1910 mit dem Doktorat ab. In der Folge unterrichtete er an der Uni Besançon und als Privatdozent an der Uni Genf.

Von 1908-1914 war er Co-Redaktor der mennonitischen Zeitschrift „Christ Seul“, zusammen mit seinem Schwager Pierre Sommer. 1912 fand seine Einsegnung zum Prediger der Mennonitengemeinde in Montbéliard statt, nachdem die Wahl bereits 1909 erfolgt war. Kennel litt in seiner Kirche offenbar unter den Widersprüchen zwischen Theorie und Praxis: Täuferische Akzente waren seiner Meinung nach nur theoretisch noch wichtig. Er setzte sich darum unter anderem auch ein für eine Rückkehr zu ursprünglich radikaler täuferischer Gewaltlosigkeit – gegen Anpassungen an Nationalismus und Militarismus auch in seiner Kirche, was er dem Einfluss von erwecklicher Theologie zuschrieb.

Vgl. dazu nachfolgend seine prophetisch-hellsichtigen Worte aus dem Jahr 1911:

Friede oder Krieg?

Europa ist derzeit das Opfer von einem Anfall von Kriegswahn. Die Völker rüsten auf wie wild, auf allen Seiten bereitet man sich vor auf den monströsen Schock. Die Regierungen werden von einer stolzen Blindheit gehindert, das Gute vom Bösen zu unterscheiden und sie pflegen einen absurden Hass zwischen den Völkern und Nationen. Sie lassen die Menschen nervös, abgestumpft und dumm werden, um sie dann zu ermutigen, sich gegenseitig umzubringen. Diese Regierungen gehen dabei sogar so weit zu sagen, dass der Krieg eine soziale Notwendigkeit sei und dass die grossen Schlachten Meilensteine auf dem Weg des Fortschrittes darstellten. Vereinzelte Stimmen protestieren zwar dagegen, aber die grosse Masse scheint gleichgültig zu sein. Das ist sie zwar nicht vollends, aber man hat den Gehirnen der Menschen derart dumme und kriminelle Theorien eingetrichtert, dass sie nun nicht mehr in der Lage sind, ihren Wunsch nach Frieden auszudrücken. Wird die scheußliche Menschenjagd bald losgehen? Werden wir bald Freunde, Brüder im Geiste, Brüder nach dem Fleisch einander gnadenlos aufspiessen und abknallen sehen? Werden Menschen, die eigentlich den Auftrag haben, das Evangelium des Friedens zu verkünden, bald Schlachthöfe dirigieren müssen? Und wird erst dann wieder Stille einkehren, aber im Blut, in Tränen und in Leiden? Vielleicht… Aber wenn es so sein sollte, müsste man an der Menschheit verzweifeln. O Gott, öffne ihre Augen, damit sie das Kreuz sehen, und öffne ihre Ohren, dass sie die Worte des Friedens und der Liebe hören! Rede, Herr – und mögen deine Diener hören!

1914 war Kennel designierter Vertreter der französischen Mennonitengemeinden an einer Internationalen Kirchenkonferenz in Bern zugunsten des Friedens, die im Frühjahr hätte stattfinden sollen, dann allerdings infolge der Hinhaltetaktik mancher Nationalkirchen abgesagt werden musste. Die Ersatzkonferenz in Konstanz von Anfang August war dann durch den gleichzeitigen Kriegsausbruch bereits stark beeinträchtigt.

(Gleichwohl gilt die Konferenz von Konstanz vom August 1914 als Geburtsstunde des Internationalen Versöhnungsbundes bzw. des International Fellowship of Reconciliation IFOR!)

Kurz nach der französischen Generalmobilmachung und dem Kriegsausbruch floh Kennel in die Schweiz, was ihm umfangreiche und scharfe  Kritik nicht nur in französischen Medien eintrug, sondern auch in seinen eigenen französischen Mennonitengemeinden. 1915 wurde Kennel deswegen auch an der Uni Genf entlassen.

1919 Kennel nahm Kontakt auf mit einer Gruppe nordamerikanischer Mennoniten, die beim Wiederaufbau in Clermont-en-Argonne (Meuse) halfen. Diese Kontakte mit pazifistischen Geschwistern halfen ihm, das eigene Friedenszeugnis allen Widerständen zum Trotz zu pflegen.

Noch einmal intervenierte Kennel 1932 – nach Jahren des Schweigens und bereits im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges – und zwar erneut in der Zeitschrift „Christ Seul“. Noch einmal tat er dies mit einem flammenden Aufruf zu Friedensdienst und Gewaltverzicht im Namen Jesu.

1949 starb Pierre Kennel in Genf bei seiner Tochter Fanny. Hier die eindrücklichen Worte, die vermutlich er selber nach der Absage der Internationalen Konferenz der Kirchen für den Frieden im Sommer 1914 – also vor just 100 Jahren – formuliert hatte:

Pax nobiscum [Friede sei mit uns]

Die Konferenz der christlichen Kirchen für den Frieden, die sich in diesem Jahr in Bern hätte versammeln wollen, wurde vertagt. Wir hatten zuvor dem Konferenz-Vorstand unsere Teilnahme und Solidarität bezeugt und es war vorgesehen, dass die Evangelischen Mennonitengemeinden Frankreichs, für welche die Gemeinschaft der Völker immer schon ein zentrales Anliegen war, an der Tagung mit einem Delegierten vertreten sein würden. Wir bedauern, dass zahlreiche christliche Kirchen nicht dieselbe zustimmende Antwort gegeben haben (auf die Einladung zur Konferenz), die man von ihnen hätte erwarten können. Wir beklagen, dass die aktuelle Welle des Chauvinismus nun auch die Köpfe der geistlichen Leiter überflutet hat, und zwar sowohl der französischen als auch der deutschen. Warum zeigen sich Menschen, warum zeigen sich Pastoren, die behaupten, den Krieg zu hassen, so zurückhaltend in ihren Schriften und in ihren Reden, wenn es um dessen Abschaffung geht? Warum legen sie so viel Wert auf Nationalität und (irdisches) Vaterland – wie wenn das himmlische Vaterland nicht der grosse und einzige Horizont eines jeden Nachfolgers Jesu Christi ist? Warum alte Streitereien neu aufleben lassen und warum die junge Generation begeistern für Schlachtensiege, sei es nun Austerlitz oder Sedan? [Anmerkung: Es geht um Siege Frankreichs über Deutschland von 1805, bzw. von Deutschland über Frankreich von 1870!] Die Antworten müssen wohl gesucht werden im beängstigenden Dualismus der menschlichen Seele: Das Gute, das ich tun will, tu ich nicht – sagte schon der Apostel Paulus.  Die Christen des 20. Jahrhunderts erleben dieselben Kämpfe, dieselben Niederlagen… O Herr Jesus Christus, Dein Friede sei mit uns.

 

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