Jenseits von Rückzug und Vereinnahmung – Mission, Evangelisation und Täufergeschichte

Seit den 1940er Jahren ist täuferische Theologie und Geschichte zunehmend ins Blickfeld des Interesses von akademischen und kirchlichen Kreisen gerückt. Anders als in all den Jahrhunderten zuvor, sah man nun in den Täufern immer weniger bloss Ketzer, Rebellen und Spinner, sondern ernstzunehmende Christen, die einen originellen, ja nötigen Beitrag zur Präsenz des Glaubens in der Welt leisteten und leisten.

Üblicherweise sprach man dabei von den Täufern aber meist im Zusammenhang von Freiwilligkeitskirche, von Glaubens- und Gewissensfreiheit, von kritischer Distanz zur Obrigkeit, von Gewaltverzicht und Friedenszeugnis etc. Mit diesen Stichworten war das Täufertum nicht zuletzt auch im ökumenischen Kontext salonfähig geworden.

Obwohl dabei immer wieder von einem sehr ganzheitlichen Zeugnis der Täufer die Rede war, sprach man interessanterweise kaum von täuferischer Mission und Evangelisation.

Es entstand bisweilen der Eindruck von einem zwar sehr eindrücklichen Glaubenszeugnis, das aber infolge eines anhaltend starken Widerstandes seitens politischer und kirchlicher Obrigkeiten immer mehr in die Isolation abgedrängt wurde. Und infolge dieser Abgeschlossenheit und Separation der täuferischen Gemeinden, so die gängige Annahme, zogen sich Täuferinnen und Täufer aus Welt und Gesellschaft zurück. Ihr an sich eindrückliches Glaubenszeugnis fand nur noch im frommen Ghetto statt und wurde von Aussenstehenden kaum noch effektiv wahrgenommen. Daraus ergaben sich dann zwei Annahmen.

Annahme 1: Zum Glauben kamen durch das Zeugnis der Täufer kaum noch irgendwelche Menschen.

Annahme 2: Das Täufertum hatte es längst aufgegeben, andere Menschen zum Glauben einzuladen.

Zwar erschien bereits 1966 von Wolfgang Schäufele ein Buch mit dem Titel „Das missionarische Bewusstsein und Wirken der Täufer“. Darin wird das Täufertum – zumal dasjenige der Anfangszeit – geradezu als DIE Missionsbewegung des 16. Jahrhunderts gesehen. Aber leider fand das Buch lange Zeit nicht die Beachtung, die es verdient hätte.

Cover - Schäufele

Eigene Forschungen zum schweizerischen Täufertum haben in dieser Hinsicht Erstaunliches zutage gefördert. Es zeigt, in welchem Ausmass Täuferinnen und Täufer weit über die Anfangsjahre hinaus ihren Glauben in einer breiten Öffentlichkeit aktiv gelebt und bezeugt haben. Trotz Verfolgung kann hier von einem totalen Rückzug keine Rede sein. Und ebenfalls keine Rede sein kann von einer Gleichgültigkeit seitens dieses Täufertums hinsichtlich existentieller spiritueller Sehnsüchte ihrer Mitmenschen.

Dies soll entlang von drei biblischen Kernaussagen mit drei zeitgenössischen täuferischen Zitaten illustriert werden.

1) „Tut Busse und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15)

„Er habe zuvor leÿder lang und vil gehert [von Gott], seÿ aber davon gar nit gebessert worden. Wie bald er aber zu disen frommen Leütten [den Täufern] kommen und sÿ gehoret, sÿe er ein rechter Rewer worden, kenne dernhalben nit mer von inen lassen und welle sich des Kirchgangs zu Waldenburg nit mer annemmen. Obwol er [früher] in die [reformierte] Kirchen kummen, seye er doch etwann daruss ins Spilhauss und anderswohin übels thun, oder heim sein Frouwn zeschlagen gangen, das er jetzt alles underlosse und über selbige seine Sünd reüw und Leid trage, also dz er verhoff, Gott hab ihn zu solchen Leüthen gefüehrt, dem er alles heimsetzen wölle, wie man gleich mit ihm umb gange. Wölle auch so lang es sein will, bÿ diser Meinung verbleiben, auch darüber den Todt wann er denselben verdient, leiden.“

Heini Müller &Verena Rohrer, Liedertswil (1596)

Schloss und Städtchen Waldenburg nach einer Skizze von G.F.Meyer (Staatsarchiv Baselland)

Schloss und Städtchen Waldenburg nach einer Skizze von G.F.Meyer (Staatsarchiv Baselland)

2) „Suchet der Stadt Bestes“ (Jer 29,7)

„Nach dem aber sÿn weib zum anderen mahl verwirrt worden und er gar vil mit ihren verartzet, hette er darbeÿ die artzneÿ angefangen ergreÿfen und von demselben an dieselbe practicieret, mit deren er dann soweÿt kommen, das er mit der hülff Gotteß, […] den Schlaffenden Ungenampten, die Frantzosensucht[Syphilis], alte schäden, wunden und beinbrüch ohne Zal, glücklich curieret. Zur Teüffereÿ sige er kommen vor [un]gefahr 20 Jahren, und aber vom Predicanten zu Schöfftlen [Schöftland/Aargau] schon darvor darumb angefochten worden, H. Landvogt Kilchberger hab ihne ÿhnzogen und deß lands, äben von der teüffereÿ wegen verwÿsen söllen, umb sÿneß glücklichen artzens willen, aber seige er von der Oberkeit erbäten und im Land gelaßen worden.“

Rudolf Küentzli, Muhen/AG (1645)

Aufgrund der hohen Anzahl von Täuferinnen und Täufern, welche als Wundärzte, Hebammen und Arzneiproduzenten tätig waren, verwundert es nicht, dass sie dabei auch auf bekannte zeitgenössische Literatur zurückgriffen. Beispiele dafür finden sich auch im Archiv der Konferenz der Mennoniten der Schweiz auf Jeangui / Corgémont. (Abgebildet ist das Titelblatt der 6. Auflage von Theodor Zwinger: Sicherer und Geschwinder Arzt, Basel 1742)

Aufgrund der hohen Anzahl von Täuferinnen und Täufern, welche als Wundärzte, Hebammen und Arzneiproduzenten tätig waren, verwundert es nicht, dass sie dabei auch auf bekannte zeitgenössische Literatur zurückgriffen. Beispiele dafür finden sich auch im Archiv der Konferenz der Mennoniten der Schweiz auf Jeangui / Corgémont. (Abgebildet ist das Titelblatt der 6. Auflage von Theodor Zwinger: Sicherer und Geschwinder Arzt, Basel 1742)

3) „Bei Gott im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der ein neues Leben anfängt, als über neunundneunzig andere, die das nicht nötig haben.“ (Lk.15,7)

„[Aufgrund der schweren Verfolgung in der Schweiz ist den dortigen Täufern von uns niederländischen Mennoniten] schon früher geraten worden, sie sollten ihre Heimat lieber verlassen und anderswo eine Bleibe suchen. Das ist ihnen allerdings sehr schwer gefallen, unter anderem haben sie auch das als Grund angegeben, dass inmitten eines Lebens unter dem Kreuz ihre Gemeinden täglich zugenommen haben und dass sie darum gezögert haben, aus der Ernte des Herrn davon zu laufen.“

Amsterdamer Mennonitengemeinde an die Mennonitengemeinde Hoorn (1672)

„Wir bätten dich für alle die [die nicht zu unseren Gemeinden zählenden] Menschen, so gern wölten deinen Willen thun, Herr Gott gib ihnen die Gnad, dass sie dich von Hertzen lieben können, dich förchten und deine Gebott halten, und bitten dich, lieber Vatter, für alle Menschen, die uns vil Guts anthun mit Speiss und Tranck, mit Hauss und Herberg, uns grosse Lieb und Trew erzeigen und beweisen, Herr Gott biss [sei] ihren reichen Belohner hier zeitlich und im ewigen Leben.“

Dem Täuferältesten Hans Reist zugeschriebenes Gebet (um 1700)

Exemplar von „Das Gebätt“ aus den Beständen der Dokumentationsstelle des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte auf dem Bienenberg

Exemplar von „Das Gebätt“ aus den Beständen der Dokumentationsstelle des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte auf dem Bienenberg

Abschliessend kann demnach folgende Bilanz gezogen werden:

  • Fazit 1: Zum Glauben kamen durch das Zeugnis der Täufer auch nach der Anfangszeit noch viele Generationen lang zahlreiche Menschen.
  • Fazit 2: Das Täufertum war auch nach der Anfangszeit noch lange Zeit aktiv, andere Menschen zum Glauben einzuladen und sie auf diesem Weg zu begleiten.

Als Beleg dafür mag dienen, dass die täuferischen Anfänge der meisten sogenannt „typisch mennonitischen Familiennamen“ wie Gerber, Geiser, Graber, Nussbaumer, Rich/Rychen etc. auf genau diese Zeit zwischen 1650 und 1720 zurückgehen.

Wer heute über „missionale Gemeinde“ nachdenkt, der findet in täuferischer Geschichte und Theologie hochaktuelle Anhaltspunkte für ein Glaubenszeugnis, das Mission und Evangelisation mit Freiwilligkeit, Friede und Gerechtigkeit verbindet und das sich weder aus der Welt zurückzieht, noch sich ihr aufdrängt und sie bevormunden will.
Und insofern heute im ökumenisch-kirchlichen Gespräch genau danach gefragt wird, stehen die Türen eigentlich weit offen, um Impulse aus der Täufergeschichte in den laufenden Diskurs einzubringen.

Zum gleichen Thema vgl. auch meinen Beitrag auf dem Bienenberg-Blog.

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