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Berner Täufer und die Agrarrevolution – ein Forschungsdesiderat

Publiziert am
1. März 2025
von
Nathanaël Weber

Die sogenannte Agrarrevolution wird gemeinhin zusammen mit dem damit einhergehenden Bevölkerungswachstum als Voraussetzung für die Industrielle Revolution angesehen. In England – dem Ursprungsort der Industriellen Revolution – setzte sie bereits um 1700 ein, im Schweizer Mittelland und übrigen Europa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, so der allgemeine Konsens. Wesentlicher Bestandteil der Agrarrevolution war die schrittweise Aufgabe der noch aus dem Mittelalter stammenden Dreifelderwirtschaft, indem insbesondere das Brachejahr durch den Hackfruchtanbau, etwa mit der neu bekannt gewordenen Kartoffel oder auch mit Karotten, ersetzt wurde. Aber auch der Kleeanbau (der als Leguminose die Stickstoffversorgung der Böden verbesserte), die vermehrte Viehhaltung in Ställen, womit gezielte Mistgaben möglich wurden, oder auch die Einzäunung bzw. Privatisierung von Allmenden waren Bestandteil dieser agrarwirtschaftlichen Veränderungen.[1]

Bereits vor hundert Jahren ist Ernst Correll in seiner Monographie zum schweizerischen Täufermennonitentum in Bezug auf die landwirtschaftlichen Leistungen der Täufer im 18. Jahrhundert auf die «mennonistische Musterwirtschaft» im Elsass und der Pfalz eingegangen. Seinen diesbezüglichen Ausführungen stellt Correll folgende Bemerkung voraus:

«Eine außergewöhnliche Kenntnis der Viehzucht und Milchwirtschaft war den Schweizerischen Emigranten wohl eigen. Sie kamen aus einer hierin überlegenen Kultur.»[2] Auch betreffend Kleeanbau, in welchem die Mennoniten in der Pfalz eine Vorreiterrolle einnahmen, resümierte Correll, dass «diese und andere [aus der Schweiz] mitgebrachte […] ökonomische Qualitäten […] sich u.a. besonders auch deshalb so stark entfalten können, weil die Mennoniten meist ausserhalb des engen Rahmens der Dreifelderbauweise wirtschafteten.»[3]Die aus der Schweiz, namentlich aus den Berner Landen, teils mit Zwischenhalt im Jura, stammenden Täufer scheinen also das Wissen um neuartige landwirtschaftliche Anbautechniken in den süddeutschen Raum mitgebracht zu haben.

Im Beitrag zu den Anfängen der Zuwanderung von Berner Täufern in den Jura im frühen 18. Jahrhundert, welcher in MENNONITICA HELVETICA 47 (2024) kürzlich erschienen ist, macht Hanspeter Jecker eine wichtige Bemerkung betreffend landwirtschaftliche Praktiken der in den Jura immigrierenden Berner Täufer: Betreffend die Zehntenerhebung im Raum St. Imier wurde in einem Brief vom 29. August 1719 moniert, dass der Getreidezehnte aufgrund der Zuwanderer von Berner Täufern (in den zum Fürstbistum Basel gehörende Ort) zurückgegangen sei. Dies, weil die Täufer viel mehr Kartoffeln, Rüben, Karotten und anderes Gemüse anpflanzen würden, als Getreide auszusäen.[4] Auch in einem Beschwerdebrief aus Corgémont vom 10. Mai 1723 ist betreffend die täuferischen Pächter der Métaries, also der vormals oft saisonal bewohnten, landwirtschaftlichen Gütern auf den Jurahöhen, zu lesen, dass diese «raves, carrottes, pommes de terres, choux» anbauen würden. Weiter wird im Beschwerdebrief berichtet, dass die zugezogenen Täufer Grundstücke mit Steinmauern und Barrikaden vor dem Betreten des Viehes anderer schützten, was offensichtlich dem bisher gängigen allgemeinen Weiderecht zuwider lief.[5]

Es handelt sich um frühe Zeugnisse, welche belegen, dass vom Bernbiet immigrierte Täufer im Jura bereits früh Elemente der sich anbahnenden Agrarrevolution vorwegnahmen und den Mut hatten, landwirtschaftlich neue Wege zu gehen. Damit ist zwar noch nicht belegt, dass wichtige Akzente der landwirtschaftlichen Umbrüche der darauffolgenden Jahrzehnten bzw. der Agrarrevolution in Kontinentaleuropa von den Täufern stammen und nicht nur – wie bis anhin gemeinhin angenommen – von Grossbritannien kamen, aber zumindest darf hiermit diese Frage aufgeworfen werden. Es wäre durchaus ein Desiderat der Täuferforschung, der landwirtschaftlichen Betriebsweise der Berner und jurassischen Täufer nachzugehen und herauszufinden, was sie zu ihrer landwirtschaftlichen Pioniertätigkeit angetrieben hat. Brachten Sie einfach die landwirtschaftliche Betriebsweise des Emmentals sowie des Berner Oberlandes mit oder sind es genuin täuferische Aspekte, welche hier zum Tragen kamen?

 

Nathanaël Weber

 

[1] Vgl. z.B. Werner Baumann, Agrarrevolution, in HLS: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013827/2011-03-23/; Arnold Schnyder/Alfred Kauter, Acker- und Futterbau. Lehrbuch für den Unterricht an landwirtschaftlichen Schulen und Ratgeber für den praktischen Landwirt, Bern 31948, 112f.

[2] Ernst H. Correll, Das Schweizerische Taeufermennonitentum, Tübingen 1925, 100.

[3] Correll, Taeufermennonitentum, 116.

[4] Vgl. Hanspeter Jecker, Die Anfänge der Zuwanderung von Berner Täufern in den Jura im frühen 18. Jahrhundert. Eine erste Bestandesaufnahme, in MENNONITICA HELVETICA 47 (2024), 91.

[5] Vgl. Jecker, Anfänge, 93 (inkl. Zitat).

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