Für Gott, Volk und Vaterland – Die Täufer und der Erste Weltkrieg

Gemeindeblatt der Mennoniten Titelblatt November 1914

In einem früheren Beitrag über den französischen Mennoniten Pierre Kennel wurde bereits deutlich, dass die täuferisch-mennonitischen Kirchen in Europa um 1900 ihre früheren friedenskirchlichen Positionen weitgehend verloren hatten.

Bei den Auswanderungen des 19. Jahrhunderts hatten die meisten derjenigen Mennoniten, welche nicht bereit waren, sich der Allgemeinen Wehrpflicht in ihren Heimatländern zu unterziehen, Europa verlassen. Da diese Auswanderer (zumal in der Schweiz) oft auch die organisatorisch und kirchlich leitenden Figuren in den Gemeinden waren, entstand nach ihrem Wegzug manchenorts ein gewisses geistlich-religiöses Vakuum.

In dieses Vakuum hinein flossen ab 1880 neue Einflüsse aus den zeitgenössischen Erweckungsbewegungen, namentlich aus Heiligungs- und Gemeinschaftsbewegung, etwa via die Predigerausbildung auf St. Chrischona. Das führte einerseits zu neuem geistlichen Leben und markantem Gemeindewachstum, anderseits hielt jetzt aber auch eine neue Synthese von Christentum und Nationalismus Einzug, oft gepaart mit einer neuen Offenheit für Militarismus.

Bei der jüngeren Generation in den Täufergemeinden wurden traditionelle friedenskirchliche Positionen rund um Gewaltverzicht und Feindesliebe nun zunehmend an den Rand gedrängt oder gar über Bord geworfen, weil man sie nur noch in erstarrter Form kennen gelernt hatte und in ihnen “alte Zöpfe” und Blockaden für geistlichen Aufbruch sah…

So verwundert es wenig, dass in deutschsprachigen mennonitischen Zeitschriften nach Ausbruch des Krieges fast kein Unterschied mehr zu entdecken war zu den Denkweisen anderer Landes- und Frei-Kirchen:

  • Christliche Kirchen in Europa standen fast ausnahmslos für eine enge Synthese von Gott, Volk und Vaterland.
  • Christentum, Nationalismus und Militarismus waren auf’s Engste verbunden.
  • Jede Nation sah den Ersten Weltkrieg als Verteidigungskrieg, als „Gerechten Krieg“, bei dem man Gott ganz und exklusiv auf der eigenen Seite wusste.

So schrieb Christian Neff, Prediger der Mennonitengemeinde Weierhof und langjähriger Vorsitzender der pfälzisch-hessischen Konferenz am 15. Oktober 1914 im “Gemeindeblatt der Mennoniten”:

„Eine grosse Zeit liegt hinter uns, eine Zeit, die uns Siegesnachrichten brachte, wie sie in der Welt noch nicht gehört wurden. Die Schlachten, die an der französischen Grenze und in Ostpreussen stattfanden, haben eine Ausdehnung und ein Massenaufgebot erreicht, wie man es noch nicht erlebt hat. Fast eine Million Soldaten standen einander gegenüber. Sie endeten mit einem glänzenden Sieg unserer Truppen. Das ist von dem Herrn geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen. […] Gott war mit uns.“

Und Matthias Pohl, Prediger der Mennonitengemeinde Sembach/Pfalz, schrieb an derselben Stelle am 15. November 1914 folgendes:

“Unsere Truppen, an ihrer Spitze unser frommer Kaiser, sind mit Gott ins Feindesland gezogen. Wie viele haben im Kanonendonner und Gewehrfeuer den Weg zu dem Gott gefunden, den sie in den Tagen des Friedens nicht als ihren Herrn anerkennen wollten. Es ist leicht möglich, dass mancher Zurückkehrende in vollem Sinn des Wortes ein neuer Mensch geworden ist, während die, für welche unsere Soldaten ungeheure Anstrengungen und Entbehrungen über sich ergeben lassen, wie früher in gottabgewendetem Leben ihre Tage fristen.[…] An der Spitze unseres Volkes stehen Männer, die uneingeschränkt Gott die Ehre geben, wie ist es aber mit der grossen Menge, mit uns?”

Matthias Pohl wurde 1882 im Schänzli getauft, wurde ab 1894 Reiseprediger für amische Gemeinden im Elsass, und arbeitete von 1895-1900 für die Redaktion des schweizerisch-mennonitischen Wochenblattes „Zionspilger“ in Langnau, bevor er später in die Pfalz zog. (Zu Pohl vgl. Emanuel Neufeld in MH 26/27 [2003/2004], 107-120). In welchem Ausmass die in diesen Zeilen sichtbar werdende Theologie auch schweizerische Täufergemeinden geprägt hat, muss erst noch eingehender erforscht werden. Aber man geht sicher nicht an der Realität vorbei, wenn man von sehr starken Berührungspunkten und Parallelen ausgeht.

(Auszüge aus dem Referat “Basel, die Täufer und der Erste Weltkrieg”, gehalten an der Mitgliederversammlung des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte in Muttenz am 6. September 2014)

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Friedenstheologie, Migration, Täufer, Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.